Thema Bürgergeld, Mindestlohn und Altersrente – Drei Themen, die zusammen gehören

Ein Beitrag von

Marcel Frantzscher Präsident DIW Berlin – Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung

Zur hitzige Debatte zum #Bürgergeld:

Es ist es wichtig, die Fakten ehrlich auf den Tisch zu legen, notwendige #Reformen offen anzusprechen und auch den #Populismus falscher Argumente zu entlarven.
 
Vier falsche Mythen gilt es zu entlarven:
 
Erster Mythos: die knapp 5,4 Millionen Bezieher des Bürgergelds können aber wollen nicht arbeiten.
Fakt ist:
·      ca. 1,8 Millionen davon sind Kinder und Jugendliche
·      2 Millionen sind Menschen, die dem Arbeitsmarkt nicht für (weitere) Arbeit zur Verfügung stehen – wie die 800.000 Aufstocker, und auch Alleinerziehende, denen es zB an Betreuungplätzen für ihre Kinder fehlt.
·      verbleiben ca. 1,7 Millionen Menschen, die prinzipiell arbeiten könnten.
 
Die Kritiker haben also einen wichtigen Punkt, wenn sie monieren, dass der Staat besser darin werden muss, dieses Potenzial zu heben.
 
Zweiter Mythos: diese 1,7 Millionen wollten nicht arbeiten, sondern lieber Bürgergeld beziehen.
·      Dieser Vorwurf mag auf eine kleine Minderheit zutreffen, für die große Mehrheit gilt dies jedoch nicht — das Problem liegt anderswo: knapp zwei Drittel haben keinen Berufsabschluss, und die meisten haben gesundheitliche Probleme.
·      Das Hauptproblem: potentielle Arbeitgeber stellen diese Menschen häufig nicht ein, weil dies für sie mit hohen Kosten und Risiken verbunden ist.
 
Genau hier setzt eine der sinnvollen Reformen des Bürgergelds an: Menschen sollen nicht per se so in irgendeine Arbeit kommen, sondern sie sollen in solche Arbeit kommen, die ihnen eine gute und dauerhafte Zukunftsperspektive bietet.
 
Dritter Mythos: der Lohnabstand zum Bürgergeld sei nicht groß genug.
Fakt ist:
·      Diese Behauptung ist falsch: Menschen mit Arbeit haben immer und in jeder Konstellation – von einem Single bis hin zu einer Großfamilie – mehr Geld als Menschen im Bürgergeld. (https://lnkd.in/dAVufc3n)
·      Der „Lohnabstand“ zwischen Bürgergeld und Arbeit ist seit Einführung des #Mindestlohn 2015 größer geworden.
·      Aber um auch dies klar zu sagen: es gibt Menschen, die Sozialbetrug betreiben Jobangebote ablehnen oder sich Leistungen erschleichen.
·      Fakt ist jedoch auch, dass die Totalverweigerer eine kleine Gruppe sind: es sind ca. 15.000 von den 5,4 Millionen Beziehern des Bürgergeld.
·      Auch daher ist der Populismus gegen Menschen im Bürgergeld so perfide: es wird eine große Mehrheit in Kollektivhaftung für eine kleine Minderheit genommen und ihre legitimen Bedürfnisse dadurch delegitimiert.

 
Fazit:
Die Einführung des Bürgergelds war ein Schritt in die richtige Richtung, vor allem weil es einen stärkeren Fokus darauf legt, Menschen dauerhaft und in gute Arbeit zu bringen.

Das Bürgergeld braucht weitere Reformen.

Was es nicht braucht, ist der #Populismus, der die Debatte prägt und auch von Politikern demokratischer Parteien geschürt wird um verletzliche Gruppen gegeneinander auszuspielen.

Arbeit führt in Deutschland immer zu höheren Einkommen als Nichtstun

Arbeit führt in Deutschland immer zu höheren Einkommen als Nichtstun.  Wer arbeitet und alle Sozialleistungen in Anspruch nimmt, die ihm zustehen, hat immer mehr verfügbares Einkommen als jemand, der nicht arbeitet und nur Sozialleistungen bekommt.

Das haben Berechnungen des ifo Instituts ergeben. „Die von manchen Politikern aufgestellte Behauptung, wer nur Sozialleistungen beziehe, bekomme netto mehr als ein Geringverdiener, ist schlicht falsch“, sagt Andreas Peichl, Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen.

„Dieser Fall ist deshalb ausgeschlossen, weil es die Freibeträge für Erwerbstätige bei der Anrechnung von Einkommen auf die Sozialleistungen gibt, um genau das zu verhindern“, fügt ifo-Forscher Maximilian Blömer hinzu.

Wer als Alleinstehender in einer Stadt mit mittlerem Mietniveau, wie z.B. Dresden, 1000 Euro brutto verdient, bekommt nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben und unter Hinzufügung der Sozialleistungen 891 Euro heraus.

Wer nur Sozialleistungen bekommt, hat 563 Euro Bürgergeld. „Nur wenn ein Alleinstehender mit 1000 Euro Brutto-Einkommen keinerlei Sozialleistungen beantragt, die er erhalten kann, dann landet er bei 357 Euro netto“, sagt Manuel Pannier vom Center for Economic Studies (CES) in München.

Bei 2000 Euro brutto sind es für einen Alleinstehenden mit Sozialleistungen netto 1020 Euro, ohne 965 Euro; beide Beiträge sind wesentlich höhere als das Bürgergeld von 563 Euro.

Ebenso läuft es bei Alleinerziehenden.

Wer brutto 1000 Euro verdient, bekommt mit den Sozialleistungen sogar 2033 Euro heraus, ebenfalls mehr als jemand ohne Arbeitseinkommen und nur mit Sozialleistungen.

Der kommt auf 1553 Euro. „Wer allerdings keinerlei Sozialleistungen beantragt, der landet mit 1000 Euro brutto nur bei 622 Euro“, sagt ifo-Forscherin Lilly Fischer.

Diese Berechnungen hat das ifo ebenso für Paarhaushalte und verschiedene Mietniveaus angestellt.

https://www.ifo.de/publikationen/2024/aufsatz-zeitschrift/lohnt-sich-arbeit-noch-lohnabstand-und-arbeitsanreize-2024

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Kommentar von

Rentenexperte – Renten-Experte.de

Werner Hoffmann

Bürgergeld, Mindestlohn und Altersrente sind 3 Werte, die man in Zusammenhang sehen muss.

Wer nur einen Mindestlohn von 12,41 Euro erhält, hat bei einem Monatsverdienst von 2084 Euro gerade einmal 55 Prozent des Durchschnittseinkommens erreicht.

Die tatsächliche erarbeitete Rente wäre dann unter der Grundsicherung.

Damit müsste der Staat – also wir Steuerzahler – für die Differenz zwischen

– Grundsicherung und tatsächlich erarbeitete Rente, oder sogar

– für die Differenz zwischen Zuschlag zur Grundrente und tatsächliche Rente

aufkommen.

Wäre der Mindestlohn bei 15,77 Euro pro Stunde, wäre dies nicht der Fall!

Einfach ausgedrückt:

Wäre der Mindestlohn auf diesem Niveau, dann müssten wir alle nicht nachher dafür gerade stehen.

Wir finanzieren durch den niedrigen Mindestlohn letztendlich den Sehwinkel des Unternehmers, der Mitarbeitern nur 12,41 Euro bezahlt.

Migration ist der Schlüssel unseres Wachtums

Ein Beitrag von

Marcel Frantzscher Präsident DIW Berlin – Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
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„Darum ist #Zuwanderung die Grundlage für unseren #Wohlstand“ —
Viele Menschen sind unzufrieden mit der #Migration|spolitik und wünschen sich mehr Abschottung. Das wäre grundfalsch. Zeit, um mit drei Fehlannahmen aufzuräumen.

Laut einer aktuellen ECFR-Studie hält fast jede dritte Person in Deutschland #Migration für das größte Problem unserer Zeit. Damit halten mehr Menschen die Zuwanderung für ein größeres Problem als #Klimakrise, Kriege oder die wirtschaftliche Entwicklung. Was ist los mit Deutschland?

Die erste falsche Wahrnehmung ist der Glaube, die Zuwanderung sei ein sozialer und wirtschaftlicher Nachteil für Deutschland. Fakt ist: Die Zuwanderung der letzten 50 Jahre war und ist eine Erfolgsgeschichte, ohne diese Zugewanderten wäre der große Wohlstand nicht möglich und das Arbeitskräfteproblem heute um ein Vielfaches größer.

Dieser Erfolg ist sicherlich nicht ohne Kehrseiten. Aber Fakt ist: Gerade in den letzten zehn Jahren wurden viele wichtige Reformen umgesetzt, sodass die #Integration von Zugewanderten in Arbeitsmarkt und Gesellschaft besser gelungen ist, als damalige Prognosen vorhergesagt haben.

Der zweite Irrglaube basiert auf der Behauptung, Deutschland sei zu attraktiv als Zuwanderungsland, man müsse soziale Leistungen kürzen. 
Eine Studie für Dänemark zeigt, wie kontraproduktiv dieser Kurs sein kann. Denn gekürzte Leistungen erhöhen die Armut und erschweren die Integration. Und sie reduzieren primär die Zuwanderung von hoch qualifizierten Menschen.

Der dritte Irrglaube ist die Behauptung, Deutschland könne Zuwanderung steuern. Wer eine Obergrenze fordert, der fordert zumindest implizit eine Beschneidung des Asylrechts und der Menschenrechtscharta.
Und dies lenkt von der sehr viel dringenderen Aufgabe ab: Wie kann die Integration derer, die sich bereits in Deutschland befinden, besser und schneller gestaltet werden.

Die Zuwanderung nach Deutschland ist eine Erfolgsgeschichte. Sie ist die Grundlage für wirtschaftlichen Erfolg und Wohlstand und wird dies in den kommenden 20 Jahren noch stärker sein. Dies bedeutet nicht, dass es nicht zahlreiche Defizite und Herausforderungen gibt. Aber Deutschland braucht wieder einen klaren Kompass im Umgang mit Migration. Dafür müssen wir das Narrativ korrigieren. Zuwanderung ist eine riesige Chance für Deutschland. Wir wären klug beraten, diese Chance zu nutzen.

Meine neue Kolumne bei Zeit Online:

Steuerschätzung für Deutschland

Marcel Fratzscher Präsident DIW Berlin – Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung

Die Reaktion des Bundesfinanzministers auf die #Steuerschätzung und die deutlich geringeren erwarteten Einnahmen entbehren nicht einer gewissen Ironie:

#Investitionen in Infrastruktur, Bildung, Innovation, Klimaschutz, soziale Sicherung und Verteidigung sind keine „exorbitanten politischen Wünsche“, sondern eine dringende Notwendigkeit für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands.

Eine kluge Finanzpolitik konsolidiert die Staatsfinanzen in guten Zeiten und ist expansiv in schlechten Zeiten.

Eine kluge Finanzpolitik fährt keinen Austeritätskurs in wirtschaftlich schlechten Zeiten, wie die Bundesregierung dies zur Zeit tut.

Die vom Bundesfinanzminister geforderte #Austerität wird nicht zu einer „#Wirtschaftswende“ führen, so wie von ihm gefordert,

sondern zum Schiffsbruch und sie wird die Wirtschaft weiter schwächen.

Diese #Finanzpolitik wird den #Wirtschaftsstandort Deutschland und die Wettbewerbsfähigkeit vieler Unternehmen dauerhaft schädigen.

N.B. Die Behauptung, die Bundesregierung tätige „Rekordinvestitionen“ ist falsch, da solche Zahlen nicht real/preisbereinigt sind und viele zusätzliche Bedarfe (u.a. Verteidigung, Digitalisierung, Energie) ignorieren.

Link —> https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Pressemitteilungen/Finanzpolitik/2024/05/2024-05-16-ergebnisse-der-166-steuerschaetzung.html

Muss mehr in Deutschland gearbeitet werden?

Welche perfide Strategie steckt hinter der Forderung nach mehr Überstunden Steuer- und sozialversicherungsfrei?

Ein Beitrag von Marcel Fratzscher und Kommentar von Werner Hoffmann

Marcel Frantzscher Präsident DIW Berlin – Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung

Muss in Deutschland mehr gearbeitet werden?
Die Forderung zur #Steuerbefreiung von #Überstunden ist aus fast jeglicher ökonomischer Perspektive falsch und kontraproduktiv. Die gute Nachricht ist, dass Deutschland einen Teil seines Arbeitskräftebedarfs anders decken könnte
 
Meine Kolumne bei Zeit Online mit M Beckmannshagen & A Sperling:

https://www.zeit.de/wirtschaft/2024-04/arbeitsmarkt-erwerbstaetigkeit-frauen-ueberstunden-steuervorteile

Der Vorwurf, die junge Generation #GenZ mangele es an #Leistungsbereitschaft und Arbeitswille, ist auch durch die Fakten widerlegt.

Fakt ist: #Beschäftigung in Deutschland ist heute auf Rekordhoch – niemals in den letzten Jahrzehnten waren mehr Menschen in #Arbeit und wurden gesamt mehr Stunden im Jahr gearbeitet:

Aus ökonomischer Sicht ist gibt es 6 starke Argumente gegen die steuerliche Priviligierung von Überstunden:
 
 
1.    Eine steuerliche Förderung von Überstunden würde zu kaum mehr geleisteten Arbeitsstunden führen – Beispiel Frankreich, wo Überstunden im Jahr 2007 von der Einkommensteuer befreit wurden:
 
Der einzige Effekt der Reform war, dass hochqualifizierte Arbeitnehmer*innen mehr Überstunden deklarierten, um von den steuerlichen Vorteilen zu profitieren.

  1. Selbst bei geringem bis keinem Effekt auf das Arbeitsangebot entstehen dem Staat erhebliche Kosten durch sogenannte #Mitnahmeeffekte entstehen.
     
  2. Es ist ein Widerspruch zu Lindners Insistieren zur Einhaltung der #Schuldenbremse – Förderungen von Überstunden würde weitere Kürzungen vor allem bei Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Nachhaltigkeit bedeuten.
  3. Es könnte die Unterschiede zwischen Männern und #Frauen wieder vergrößern und die unausgewogene Aufteilung von Erwerbs- und Carearbeit weiter zementiert.
  4. Eine Steuerbefreiung von Überstunden würde falsche Anreize innerhalb von Unternehmen setzen. Diese sollten in die #Produktivität ihrer Beschäftigten investieren, anstatt die Arbeitszeit zu erhöhen.
     
  5. Eine an Vollzeitstunden gekoppelte Steuererleichterung würde Arbeitnehmerinnen in Teilzeit außer Acht lassen, bei denen jedoch das größte Potenzial zur Arbeitszeitausweitung besteht.   

Das Erstaunliche an den Vorschlägen des Bundesfinanzministers ist, dass es viel bessere Alternativen gibt, um dem Arbeitskräftebedarf in Deutschland zu begegnen, ein besseres Funktionieren des Arbeitsmarktes zu gewährleisten und auch für den Staat Geld einzusparen.

Denn das größte ungehobene Arbeitskräftepotenzial ist die Erwerbstätigkeit von Frauen und die Integration von vielen der heute 3,3 Millionen Schutzsuchenden in den Arbeitsmarkt.  

Die gute Nachricht ist, dass Deutschland einen Teil seines Arbeitskräftebedarfs decken könnte, wenn die Hürden für die Erwerbstätigkeit von Frauen reduziert und die Integration von Migrantinnen in den Arbeitsmarkt besser gefördert würden.

Eine Reform des #Ehegattensplitting könnte nicht nur zügig umgesetzt und schnelle Erfolge herbeiführen, sondern auch dem …..

https://www.zeit.de/wirtschaft/2024-04/arbeitsmarkt-erwerbstaetigkeit-frauen-ueberstunden-steuervorteile

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Ein Kommentar von Werner Hoffmann

Werner Hoffmann Rentenberater

Das Thema Mehrarbeit durch Überstunden und Steuerbefreiung ist wohl nur die halbe Wahrheit.

Wenn Überstunden steuerfrei gestellt werden sollen, dann wird wohl auch eine Sozialversicherungsfreiheit beinhaltet sein.

Somit würden die geleisteten Überstunden dazu führen, dass die Sozialkassen Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern fehlen.

Für die Arbeitgeber Reingewinn von rund 22 bis 24 %, denn dadurch würden die Arbeitgeber Beiträge zu der

– Krankenversicherung

– Pflegepflichtversicherung

– Gesetzlichen Rentenversicherung

– Arbeitslosenversicherung

– Berufsgenossenschaft

– Umlage 1 und 2 sowie Insolvenzgeldumlage

einsparen und den Sozialkassen fehlen. Hinzu kommen dann – je nach Tarifvertrag auch noch verminderte Beiträge in der betrieblichen Altersversorgung.

Arbeitnehmer müssten dann zwar auch keine Sozialversicherungsbeiträge bezahlen, hätten aber dann auch daraus dann auch geringere Leistungsansprüche.

Bekannt ist dieser Effekt aus dem Kreis der Gastronomie und Friseure: Trinkgelder werden nicht in der Steuer und Sozialversicherung erfasst. Was zunächst schön aussieht, ist und war jedoch in der Coronaphase katastrophal und ist auch in der Rente schlecht.

Gastronomiekräfte und Friseure hatten die Coronahilfe – Kurzarbeitergeld – nur aus dem verbeitragten Gehalt erhalten. Und auch in der Rentenberechnung bleiben Trinkgelder unberücksichtigt.

Verdient ein Kellner Brutto 2.500 Euro zuzüglich 1.200 Euro Trinkgeld, dann wird die Rente nur aus dem Bruttobeitrag erwirtschaftet.

Dieser Kellner erhält dann in der Rente eine Rente, die nur aus den 2.500 Euro berechnet wird.

Unterstellt man, dass dieser Kellner immer Kellner war und im Verhältnis zu anderen Rentenversicherten verdient hat, dann fällt der Kellner in der Rente in ein Rentenloch. Ggf. Erhält er sogar einen Zuschlag zur Grundrente, der nicht durch seine Beiträge, sondern durch die Allgemeinheit finanziert werden müsste.

Effekt: Die Sozialversicherungs-Beitragsentlastung des Arbeitgebers würde wieder durch die Allgemeinheit finanziert und die Leistungsansprüche der Arbeitnehmer, die Überstunden leisten, würden gekürzt.

Dies wären nicht nur Renten, sondern Krankengeld, Arbeitslosengeld, Kurzarbeitergeld etc.

In der Phase nach Corona und auch in dieser Phase war dies auch ein Grund, warum viele Gastrokräfte durch diese geringere Coronahilfe den Nachteil ihres Jobs (Trinkgeld) bemerkt hatten und heute in anderen Berufen tätig sind,

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Dass es der FDP und der CDU, CSU bei einer Freistellung der Überstunden nicht nur um Steuern geht, sondern auch um Verringerung der Beiträge geht, wird hier verschwiegen.

Zwangsweise würde so klammheimlich auch die Rente erheblich gekürzt und müsste dann durch die Allgemeinheit bezahlt werden.

Den Gewinn daraus hat letztendlich der Arbeitgeber!

Schuldenbremse kostet Deutschland die Zukunft

Ein Artikel von Marcel Fratzscher

Die Obsession beim #Sparen könnte Deutschland die Zukunft kosten, denn kluge #Schulden — für Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Innovation – heute sind der Wohlstand von morgen. Wir müssen mit drei Mythen und grundlegenden Missverständnissen zu Sparen und Schulden in Deutschland aufräumen. #Investitionen #Schuldenbremse

Mein Kommentar im Handelsblatt:

„Kluge Schulden heute sind der Wohlstand von morgen

Marcel Fratzscher hält es für falsch, starr an der Schuldenbremse festzuhalten. Dass Sparen gut und Schulden schlecht sind, sei ein grundlegendes deutsches Missverständnis. Aufklärung ist gefragt.

Zwei von drei Deutschen finden die Schuldenbremse gut und wollen an ihr festhalten – so eine neue Umfrage im Auftrag des „Spiegels“. Es gibt wohl kaum eine Gesellschaft, in der es so tief in der Psyche verankert ist, dass Sparen gut ist und Schulden schlecht sind.

Die Obsession beim Sparen könnte Deutschlandjedoch die Zukunft kosten, denn kluge Schulden heute sind der Wohlstand von morgen. Wir müssen mit grundlegenden Missverständnissen zu Sparen und Schulden in Deutschland aufräumen.

Von klein auf wird Kindern in Deutschland beigebracht, Sparen sei uneingeschränkt gut. Das politisch inkorrekte Bild der schwäbischen Hausfrau wird auch von Finanzministern gerne zitiert: Man müsse erst Geld erwirtschaften und sparen, bevor es ausgegeben werden könne. Daher trifft die Kritik von Opposition und Medien an der Bundesregierung für ihre Ausgabenpolitik auf so starke Resonanz und könnte Deutschland in eine tiefe politische Krise stürzen.

Kein Land häuft pro Jahr mehr Geld an als die Bundesrepublik

Der öffentliche Diskurs in Deutschland ist von drei grundlegenden Widersprüchen geprägt. Zum einen gibt es kein Land in der Welt, das jedes Jahr mehr Ersparnisse anhäuft.

Was in den Statistiken als Leistungsbilanz beschrieben wird, zeigt, dass Deutschland seit 2005 meist mehr als 200 Milliarden Euro jährlich an Nettoersparnissen aufgebaut und ins Ausland verliehen hat.

So hat Deutschland mittlerweile 2500 Milliarden Euro mehr an Ersparnissen im Ausland – Direktinvestitionen, Kredite oder Finanzanlagen – als das Ausland in Deutschland. Das Problem: Deutsche Sparer und Investoren haben diese häufig nicht sehr klug angelegt und immer wieder viel Geld im Ausland verloren. Es wäre in vielen Fällen sehr viel klüger, Gelder in Deutschland zu investieren.

Das Problem ist die unproduktive Nutzung der Schulden

Ein zweiter Grund betrifft die Frage, wofür die Schulden aufgenommen wurden. Das Problem heute sind nicht vermeintlich hohe Staatsschulden – Deutschland hat eine der geringsten Schuldenquoten aller großen Industrieländer –, sondern die unproduktive Nutzung der Schulden. So waren die Nettoinvestitionen des deutschen Staates in den vergangenen zwanzig Jahren stetig negativ.

Die öffentlichen Vermögenswerte wie Straßen, Brücken, Schulen, öffentliche Einrichtungen, Beteiligungen und andere Finanzvermögen sind geschrumpft.

Fortsetzung —> https://www.handelsblatt.com/meinung/gastbeitraege/gastkommentar-kluge-schulden-heute-sind-der-wohlstand-von-morgen/100002813.html

Kommentar von Werner Hoffmann

Man kann es auch noch ganz einfach formulieren:

„Wenn Du ein altes Haus hast, dann kannst Du natürlich auch darin wohnen, bis es ziemlich ungemütlich wird und zusammenfällt und Du darunter begraben wirst.

Das gesparte Geld kannst Du natürlich anderweitig investieren. Und wenn Du wenig oder nichts gross angespart hast, kannst Du natürlich auch die Kreditaufnahme weglassen und notwendige Reparaturen weglassen.

Du kannst aber auch die Schäden reparieren und in eine neue Isolierung investieren, so dass Deine Nachkommen noch ein gepflegtes Haus erhalten.

Wenn Du ein Egoist bist, ist das Dir natürlich alles egal. Hauptsache das Haus stürzt ein und Du wirst darunter sterben.“

Deutschlands Schuldenbremse bricht seine Wirtschaft

Auswirkung des Urteils des Bundesverfassungsgericht „Schuldenbremse“ auf die EU

Der nachfolgende Text ist eine Übersetzung aus https://www.project-syndicate.org/commentary/germany-debt-brake-is-derailing-economic-future-by-marcel-fratzscher-2023-11

Von Marcel Fratzscher

Die jüngste Entscheidung des deutschen Verfassungsgerichts, den Plan der Regierung zu blockieren, 60 Milliarden Euro an ungenutzten Pandemiefonds in klimabezogene Projekte umzuleiten, hat die wachsenden Spaltungen innerhalb Deutschlands Dreiparteien-Herrschaftskoalition unterstrichen. Darüber hinaus wird die Entscheidung das Wirtschaftswachstum in einem kritischen Moment untergraben.
BERLIN – Anfang dieses Monats entschied das deutsche Verfassungsgericht, dass der Plan der Regierung, ungenutzte COVID-19-Hilfsgelder zur Bekämpfung des Klimawandels umzuleiten, gegen die sogenannte Schuldenbremse verstößt. Die Entscheidung ist nicht nur ein Rückschlag für Kanzler Olaf Scholz; sie könnte auch die ideologischen Spaltungen innerhalb der Koalitionsregierung vertiefen und die Finanzpolitik des Landes untergraben und damit eine ernsthafte Bedrohung für seine wirtschaftlichen Aussichten darstellen.
Deutschland führte 2009 die Schuldenbremse in seine Verfassung ein und verhängte Grenzen, die weitaus strenger waren als die, die im Stabilitäts- und Wachstumspakt der Europäischen Union gefordert wurden. Die Bremse verbietet es Bundes- und Landesregierungen weitgehend, neue Schulden aufzunehmen; Ausnahmen sind nur in extremen Notfällen zulässig. Die Bundesregierung nutzte diese Ausnahmeregelung im Jahr 2020, um mehr als 200 Milliarden Euro an Sondermitteln bereitzustellen, um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu mildern.
Scholzs Regierung versuchte, die gleiche Befreiung zu nutzen, um 60 Milliarden Euro (66 Milliarden Dollar) oder 1,5% des BIP aus diesen Sondermitteln in Richtung Industriesubventionen und klimabezogene Initiativen zu leiten. Die oppositionelle Christlich-Demokratische Union legte dann Berufung beim Gericht ein, das den Plan der Regierung mit der Begründung blockierte, dass er die „verfassungsrechtlichen Anforderungen für die Notkredite“ nicht erfüllte. Ironischerweise war es die CDU unter der Führung der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel, die diesen Sonderfonds gründete.
Während das Urteil eine Peinlichkeit für die Bundesregierung darstellt, insbesondere für Finanzminister Christian Lindner, ist das größere Problem, dass die Regierung jetzt mit einem Defizit von 60 Milliarden Euro für ihre geplanten Programme und Subventionen konfrontiert ist. Deutschlands Klima- und Transformationsfonds (KTF) ist mit erwarteten Einnahmen in Höhe von nur 30 Milliarden Euro, hauptsächlich aus dem Emissionshandel, fast erschöpft. Das Urteil bedeutet auch, dass die Regierung einige ihrer Verpflichtungen nicht einhalten kann, wie z.B. 6,5 Milliarden Euro an zusätzlichen Mitteln für die Deutsche Bahn, 15 Milliarden Euro an Subventionen für die geplanten Einrichtungen der Intel und Taiwan Semiconductor Manufacturing Company in Magdeburg und Dresden, 4 Milliarden Euro für die grüne Stahlproduktion oder die 1,8 Milliarden Euro schwere Heizhilfe.
Darüber hinaus führt das Urteil eine neue Ebene der wirtschaftlichen Unsicherheit ein, so dass sich viele Unternehmen fragen, auf welche Versprechen sie sich noch verlassen können. Dies wird das Wirtschaftswachstum in einem kritischen Moment untergraben. Die Energiekrise und die träge Weltwirtschaft haben Deutschland stärker getroffen als andere Industrieländer, und der erwartete Rückgang der privaten Investitionen könnte die ökologische und digitale Transformation der Wirtschaft weiter behindern.
Mit ausreichendem politischen Willen könnte dieses Problem leicht gelöst werden. Der Bundestag könnte eine vorübergehende Aussetzung der Schuldenbremse für 2024 genehmigen und damit der Regierung die notwendige finanzielle Flexibilität geben. Aber genau das ist der Kern des Problems: Wenn es um Fiskalpolitik und Schulden geht, sind die Regierungsparteien gespaltener denn je.

Während Scholzs Sozialdemokratische Partei (SPD) vorgeschlagen hat, die Schuldenbremse zu reformieren und höhere Steuern auf einkommensstarke Erwerbsempfänger und Erbschaften zu erheben, sind Lindner und die Freien Demokraten (FDP) stolz darauf, als ordoliberales Gewissen des Landes zu fungieren. In dem Glauben, dass seine politische Zukunft davon abhängt, die Schuldenbremse einzuhalten und fiskalische Umsicht aufrechtzuerhalten, ohne die Steuern zu erhöhen, hat Lindner bereits Pläne für noch strengere Sparmaßnahmen angekündigt. In der Zwischenzeit ist ein erheblicher Teil der SPD zusammen mit den Grünen – dem dritten Koalitionspartner – bestrebt, ihre ehrgeizigen (und kostspieligen) Agenden umzusetzen. Dies bringt Scholz in die unvibelste Position, zwei scheinbar widersprüchliche Finanzstrategien in Einklang bringen zu müssen.
Dieser Konflikt unterstreicht die Mängel der Schuldenbremse und den paradoxen Charakter der deutschen Finanzpolitik. Während Regierungen und Finanzminister der Schuldenbremse Lippenbekenntnisse geben, schaffen sie Schattenbudgets, um ihre Zwänge zu umgehen, wenn es ihren politischen Bedürfnissen entspricht. Dies hat es Deutschland ermöglicht, inländischen Unternehmen während der Pandemie und der anhaltenden Energiekrise enorme finanzielle Unterstützung zu leisten. Gleichzeitig unterhält die Regierung jedoch eine restriktive strukturelle Fiskalpolitik, die zu unzureichenden öffentlichen Investitionen und einem deutlichen Rückgang der Qualität von Infrastruktur, Bildung und Gesundheitsversorgung führt. Einfach ausgedrückt, hat die Schuldenbremse als bequemer Vorwand für eine Fiskalpolitik gedient, die Unternehmenssubventionen auf Kosten öffentlicher Güter begünstigt.
Das wirkliche Risiko, das sich aus dem Urteil des Verfassungsgerichts ergibt, ist nicht unbedingt ein Mangel an Mitteln, sondern die sich vertiefenden Spaltungen innerhalb der Regierung und die drohende politische und wirtschaftliche Lähmung. Deutschlands Industriesektor, der für die Schaffung gut bezahlter Arbeitsplätze und die Förderung von Innovationen von entscheidender Bedeutung ist, hat die digitale und ökologische Revolution nur langsam angenommen. Um aufzuholen, muss die Regierung dringend in Infrastruktur, Grundlagenforschung und Bildung investieren.

Durch die Verschärfung der politischen Sackgasse stellt die Entscheidung des Verfassungsgerichts eine ernsthafte Bedrohung für die sozioökonomische Entwicklung Deutschlands dar. Aber über seine innenpolitischen Folgen hinaus hat das Urteil auch negative Auswirkungen auf Europa, da die deutsche Regierung das Urteil genutzt hat, um den Antrag der EU auf einen Haushaltszuschlag in Höhe von 100 Milliarden Euro abzulehnen.
In den letzten zwei Jahren hat Scholz es wiederholt geschafft, große Unterschiede innerhalb seiner Dreiparteienkoalition zu überbrücken. Er steht jetzt vor der schwierigsten und potenziell entscheidenden Herausforderung seiner Amtszeit: der Entwicklung einer kreativen und effektiven Strategie, um die politische Sackgasse zu überwinden und sicherzustellen, dass Deutschland im einundzwanzigsten Jahrhundert wirtschaftlich wettbewerbsfähig bleibt.

Die AfD schadet ihren Anhängern am meisten

Die AfD bekämpft mit jeder Stimme mehr ihre eigenen Wähler

Wer nach dem Lesen dieser Analyse noch die AfD wählt, ist entweder ein Masochist, hat keinen Verstand oder ist wirklich ein Rechtsextremist.

Wird die Kooperation der Union mit der #AfD in #Thüringen eine Ausnahme bleiben?

#Brandmauer
Meine neue Analyse zeigt, wie stark die Überschneidungen der politischen Positionen der #Union mit der #AfD sind– und wie groß der Unterschied zu SPD & Grünen.

Das AfD-Paradox ist noch stärker auf Länderebene: Die #AfD steht in fast allen Politikbereichen (Wirtschaft, Steuern, Sozialsysteme,

Klimaschutz) für Positionen, die den eigenen Wählerinnen schaden würden. Keine andere Partei vertritt eine so neoliberale Wirtschafts- und Finanzpolitik.

Sie will Steuersenkungen für Spitzenverdienende (zB die Abschaffung des Solis für die Top 7%) – dies bedeutet eine Umverteilung von Arm zu Reich und würde vor allem AfD-Wählerinnen stark belasten.

Die AfD ist nirgends extremer in ihrer Radikalität als in der Umwelt- und #Klimapolitik. In Hessen will sie die Kohlekraftwerke über 2038 hinaus weiterlaufen lassen, in Thüringen will sie keine weiteren Flächen für Windräder zur Verfügung stellen.

In der Sozialpolitik steht die #AfD für Beschneidungen sozialer Leistungen, was primär die eigenen Wählerinnen schmerzlich treffen würde: sie sprach sich 2021 gegen einen #Mindestlohn von 12 Euro und gegen einen besseren Schutz von Mieterinnen aus.

In der Gesellschaftspolitik unterscheidet sich die AfD am stärksten von den anderen Parteien.

Sie spricht sich am radikalsten gegen eine offene Gesellschaft aus.

Sie will nicht-christliche Religionen und nicht-traditionelle Familien in ihren Rechten beschneiden und die #AfD sieht keine Notwendigkeit für mehr #Chancengleichheit von Frauen.

In Bayern ist die #AfD die einzige Partei im Landtag, die sich gegen einen verpflichtenden Besuch von Schülerinnen von NS-Gedenkstätten ausspricht.

Am stärksten ist die Überschneidung von #Union und #AfD bei der Klima- und Umweltpolitik, gefolgt von der Wirtschafts- und Finanzpolitik.

Die Union steht damit der AfD meist näher als der FDP. Dagegen ist die Union in ihren Positionen weit entfernt von SPD, Grünen und Linken. Die Analyse bestätigt die starke Überschneidung der Positionen von Grünen,

SPD und Linken in vielen Politikthemen. Dies gilt jedoch nicht für die FDP, deren Überschneidung mit Grünen und SPD vglsw. gering ist. Das mag die regelmäßigen Streitigkeiten innerhalb der #Ampel erklären. Fazit:

Die erheblichen Übereinstimmungen der politischen Positionen zwischen #Union und #AfD – bei gleichzeitig großen und größer werdenden Unterschieden zu Grünen,

SPD und Linken – könnten eine Zusammenarbeit zwischen Union und AfD zur Norm werden lassen. Die Union – insbesondere die Parteispitzen – wäre gut beraten, konsistent zu kommunizieren und so zu handeln.

Die Hoffnung, mit einer stark konservativer Ausrichtung Wählerinnen der AfD abspenstig zu machen, hat sich bisher als Trugschluss erwiesen.

Die Gesamtanalyse ist über den LINk

—> https://www.diw.de/de/diw_01.c.881264.de/publikationen/diw_aktuell/2023_0089/das_afd-paradox_und_die_politische_naehe_zu_anderen_parteien__die_meisten_ueberschneidungen_gibt_es_mit_der_union.html

zu erreichen.

Warum AfD-Wähler sich selbst schaden

Eine „extrem neoliberale Wirtschafts- und Finanzpolitik“ bescheinigt DIW-Chef Fratzscher der AfD.

Der Chef des größten deutschen Wirtschaftsforschungsinstituts, des DIW in Berlin, kommt in einer Analyse der AfD und ihrer Unterstützer zu einem verblüffenden Ergebnis:

Unter der Politik der Rechtspartei hätten vor allem ihre eigenen Wähler zu leiden. Warum erkennen das die Anhänger der AfD nicht?

Worum geht es bei der Untersuchung?
DIW-Präsident Marcel Fratzscher gilt als einer der prominentesten Ökonomen in Deutschland. Angesichts der gestiegenen Umfragewerte der AfD hat er sich gefragt: Liegen denn die politischen Ziele der Partei überhaupt im Interesse ihrer Wähler? Dabei ist der Berliner Ökonom auf einen überraschenden Widerspruch gestoßen: Die Leidtragenden der AfD-Politik wären vor allem ihre eigenen Wähler. 

Aber wie können aktuell etwa 20 Prozent der Bürger die Politik einer Partei unterstützen, die dem eigenen Wohlergehen und den eigenen Interessen stark zuwiderläuft?
Fratzschers Antwort: Das hängt mit einer falschen Selbsteinschätzung der AfD-Wähler zusammen und mit ihrer Fehleinschätzung der gesellschaftlichen Realität.

Woher will Fratzscher das denn wissen?
Bevor der DIW-Chef seine Schlussfolgerungen zieht, stellt er prägnant die Vorhaben der Partei den Lebensverhältnissen der AfD-Wähler gegenüber. Die systematische Untersuchung der politischen Positionen der Partei kommt dabei zu Ergebnissen, die manchen verwundern dürften. Fratzschers Einordnung beruht dabei auf Antworten, die die AfD selbst gegeben hat. Das hat den Charme, dass die Partei nicht behaupten kann, sie sei von anderen falsch eingeschätzt worden.

Grundlage für die Einordnung ist der sogenannte Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) für die Bundestagswahlen 2021. Die BPB bietet vor Wahlen diesen Wahl-O-Mat an, mit dem sich Wahlberechtigte über die verschiedenen Positionen der Parteien informieren können, um eine fundierte Wahlentscheidung zu treffen. Sie entwickelt dabei einen Fragenkatalog zu den relevantesten politischen Themen vor Wahlen und lässt ihn die Parteien beantworten.

Und was will die AfD?
Fratzschers Analyse zufolge steht die Partei für „eine extrem neoliberale Wirtschafts- und Finanzpolitik“. Sie sei für Steuersenkungen in fast allen Bereichen, auch bei der Erbschaftssteuer. Sie sei gegen die Besteuerung großer Vermögen. Den Solidaritätszuschlag für Spitzenverdiener wolle sie komplett abschaffen. Sie wolle generell die Rolle des Staates beschneiden und die Macht des Marktes vergrößern. Es gebe keine Partei, so Fratzscher, die Maßnahmen zum Schutz von Umwelt und Klima systematischer ablehnt als die AfD.

Wie sieht es in der Sozialpolitik aus?
Keine andere Partei im Bundestag wünsche sich stärkere Einschnitte bei den Sozialleistungen als die AfD. So spreche sie sich etwa gegen eine Stärkung der Rechte von Mietern aus. Auch sei sie 2021 gegen die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro gewesen. Laut aktuellen Forderungen, so der DIW-Chef weiter, die nicht im Wahl-O-Mat enthalten seien, wolle die AfD das Bürgergeld beschneiden und Langzeitarbeitslose zu Bürgerarbeit zwangsverpflichten.

Was ist mit Recht und Freiheit?
In der Gesellschaftspolitik unterscheidet sich die AfD laut der Analyse am stärksten von den anderen Bundestagsparteien. Demnach will die Partei die Rechte und Freiheiten vor allem für Minderheiten beschneiden. Auch in Bezug auf Demokratie und Innenpolitik wolle die AfD Rechte und Freiheiten deutlich restriktiver handhaben als alle anderen Parteien im Bundestag. In der Außenpolitik sei die AfD die einzige Partei, die die Europäische Union abschaffen oder massiv beschneiden will.

Was wissen wir über AfD-Wähler?
Hier fasst Fratzscher mehrere Untersuchungen zusammen. Demnach ist der AfD-Wähler überdurchschnittlich häufig männlich und im Alter von 45 bis 59 Jahren. Einkommen und Bildung bewegen sich im niedrigen bis mittleren Bereich. Arbeitslose sind unter den Wählern deutlich häufiger vertreten. Die Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben und dem Zustand von Wirtschaft und Gesellschaft ist deutlich höher als im Durchschnitt. Und oft haben AfD-Wähler eine geringere soziale und politische Teilhabe. Die AfD schneidet besser ab in Wahlkreisen, in denen die Perspektivlosigkeit groß ist, die Chancen für junge Menschen gering und die durch deren Abwanderung geprägt sind. Auch in Regionen mit größerer wirtschaftlicher Verletzlichkeit und geringerer Diversität findet die AfD stärkere Unterstützung.

Wie passen nun die Ziele der Partei zu den Lebensverhältnissen der AfD-Unterstützer?
Fratzschers Fazit ist eindeutig: Die Widersprüche zwischen den Interessen ihrer Wähler und der Positionen der Partei können kaum größer sein. Für ihn ist diese Schere das AfD-Paradox.

Woran macht er das fest?
Steuersenkungen für Spitzenverdiener, niedrigere Löhne für Geringverdiener, eine Beschneidung der Sozialsysteme würden AfD-Wähler viel stärker treffen als die Wähler der meisten anderen Parteien, stellt der DIW-Chef fest. Würde sich die AfD-Politik durchsetzen, käme es zu einer Umverteilung von Einkommen und sozialen Leistungen von AfD-Wählern hin zu den Wählern anderer Parteien. Dies würde die ohnehin häufig am Rande der Gesellschaft stehenden AfD-Wähler noch stärker marginalisieren. Und der wirtschaftliche und politische Schaden, den eine Schwächung der Europäischen Union und eine Aussetzung von Maßnahmen gegen den Klimawandel verursachen würde, träfe vor allem die sozial Schwachen der Gesellschaft – und davor allem auch viele AfD-Wähler.

Wieso erkennen AfD-Wähler diesen Widerspruch nicht?
Für Fratzscher liegt eine plausible Erklärung des AfD-Paradox darin, dass sich AfD-Anhänger sowohl selbst falsch einschätzen als auch die gesellschaftlichen Zusammenhänge, in denen sie leben. Kaum eine im Bundestag vertretene Partei in Deutschland habe in den vergangenen 70 Jahren so hart nach unten getreten und verletzliche Gruppen so stark ausgegrenzt und diskriminiert wie die AfD, schreibt er. Durch die Hetze und Diskriminierung gegen Ausländer und Menschen mit Migrationsgeschichte schaffe es die Partei, den eigenen Unterstützern einzureden, sie würden wirtschaftlich, sozial und politisch gewinnen, wenn soziale Leistungen oder Grundrechte für diese Gruppen eingeschränkt würden

Wieso schätzen sich AfD-Wähler falsch ein?
Viele verstünden nicht, dass eine Politik der Diskriminierung und Ausgrenzung sie selbst stark negativ treffen würde. Denn sie selbst würden häufig zum unteren Rand der Einkommensverteilung gehören, genössen seltener Privilegien, hätten weniger Chancen als andere und seien stärker auf finanzielle Leistungen des Staates angewiesen. So wären vor allem AfD-Wähler stark negativ betroffen von Arbeitsplatzverlusten, einer schlechteren Infrastruktur und weniger Leistungen des Staates, einer Schwächung der Europäischen Union oder Steuersenkungen für Spitzenverdiener.

Und wo liegt ihre Fehleinschätzung der gesellschaftlichen Realität?
Sie bestehen nach Einschätzung des Berliner Ökonomen im besten Falle in einer verzerrten Wahrnehmung der Realität und im schlimmsten Falle in irren Verschwörungstheorien, bei denen sich AfD-Wähler als Opfer von Politik und Gesellschaft betrachten und sich selbst als Mehrheit beschreiben.

Welches Fazit zieht der DIW-Chef?
Nicht wenige AfD-Wähler seien überzeugt, dass eine Rückabwicklung der Globalisierung, ein erstarkender Nationalismus sowie eine neoliberale Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik ihnen persönlich bessere Arbeitsplätze, mehr Sicherheit und bessere Chancen verschaffen würden. Dabei würde genau das Gegenteil passieren. Deshalb erinnerte Fratzscher die Anhänger der Partei an eine Redensart: Bedenke wohl, was du dir wünschst, denn es könnte in Erfüllung gehen.