Warum es damals klappte und warum dies wieder klappen könnte, das Lobbygesetz zu umgehen!
Ein Beitrag von

Werner Hoffmann
Katherina Reiche ist kein Einzelfall – aber ein Paradebeispiel.
Die CDU-Politikerin wechselte 2015 aus dem Bundesumweltministerium direkt in die Spitze des mächtigen Verbands kommunaler Unternehmen (VKU). Nur einen Tag vor dem Kabinettsbeschluss zur Einführung der Karenzzeit verließ sie ihr Amt – und war damit gesetzlich nicht mehr zu bremsen.
Ihr Wechsel zur Gas- und Energielobby wurde zum Symbol eines politischen Missstands, der damals noch legal war: Politiker*innen, die direkt aus dem Amt in lukrative Positionen bei Unternehmen oder Interessenverbänden wechseln, oft mit engen Verbindungen zu ihren vorherigen Zuständigkeiten. Ein klassischer Fall von Drehtüreffekt – und ein Katalysator für das, was später als gesetzliche Karenzzeit bekannt wurde.
🔒 Was heute gilt: Die gesetzliche Karenzzeit seit 2015
Nach der öffentlichen Empörung über Fälle wie Reiche, Niebel oder Pofalla führte die Bundesregierung im Juli 2015 eine verbindliche Karenzzeitregelung ein. Sie ist verankert in:
- § 6a Bundesministergesetz (BMinG)
- § 3a Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre
Diese Regelungen verpflichten Bundesminister*innen und Parlamentarische Staatssekretär*innen, jede neue Tätigkeit außerhalb des öffentlichen Dienstes, die sie innerhalb von 18 Monaten nach dem Ausscheiden aus dem Amt aufnehmen wollen, beim Bundeskanzleramt anzuzeigen.
Ein unabhängiges Gremium prüft dann, ob die neue Beschäftigung möglicherweise zu einem Interessenkonflikt mit der früheren Amtsausübung führt. Ist das der Fall, kann die Bundesregierung die Tätigkeit ganz oder teilweise untersagen, und zwar:
- für bis zu 12 Monate
- in besonders schwerwiegenden Fällen bis zu 18 Monate
Die Regelung betrifft insbesondere:
- Beratungs-, Lobby- und Managementtätigkeiten
- Vorstands- und Aufsichtsratsmandate
- freiberufliche Tätigkeiten mit Branchenbezug
Ausgenommen sind z. B. gemeinnützige Tätigkeiten, Lehrberufe oder parteipolitisches Engagement – sofern kein wirtschaftlicher Bezug zum früheren Amt besteht.
⚠️ Umgehungsstrategien? Schlupflöcher bleiben
Theoretisch ließe sich die Regelung umgehen – etwa durch:
- vorzeitiges Ausscheiden vor der Gesetzesanwendung (wie bei Reiche),
- verschachtelte Beraterverträge über Dritte oder Kanzleien,
- Tätigkeiten über gemeinnützige Organisationen, die wirtschaftlich verbunden sind.
Doch jeder Versuch, sich der Karenzzeit zu entziehen, ist politisch und medial riskant – und wird in der Regel öffentlich kritisiert. Der Reputationsschaden wiegt oft schwerer als die juristische Grauzone.
📚 Prominente Fälle – und was daraus folgte
Ein Blick auf die letzten zwei Jahrzehnte zeigt: Der Wechsel von der Politik in die Wirtschaft hat in Deutschland eine lange Tradition – und viele umstrittene Episoden. Hier die bekanntesten Fälle:
- Katherina Reiche (CDU)
Parlamentarische Staatssekretärin im Umweltministerium
Wechsel 2015 zur Gas- und Energielobby (VKU) – einen Tag vor dem Kabinettsbeschluss zur Karenzzeit
- Dirk Niebel (FDP)
Bundesentwicklungsminister (2009–2013)
Wechsel zu Rheinmetall – Rüstungskonzern – als Berater für internationale Strategie - Ronald Pofalla (CDU)
Chef des Bundeskanzleramts
Wechsel zur Deutschen Bahn – trotz vorheriger Zuständigkeit - Eckart von Klaeden (CDU)
Staatsminister im Kanzleramt
Wechsel zu Daimler-Benz als Leiter für Politik und Außenbeziehungen - Gerhard Schröder (SPD)
Bundeskanzler bis 2005
Wechsel in den Aufsichtsrat von Nord Stream AG – russisches Pipeline-Projekt, das er als Kanzler selbst politisch vorbereitet hatte
📌 Was wäre heute, wenn Reiche zurückkäme?
Würde Katherina Reiche heute – angenommen – als Bundeswirtschaftsministerin amtieren und anschließend wieder in die Wirtschaft wechseln wollen, etwa als freiberufliche Energieberaterin oder Aufsichtsrätin eines Unternehmens mit Lobbyinteressen, dann wäre sie klar anzeigepflichtig. Die Karenzzeit würde greifen – und ein Verbot oder eine Verzögerung ihrer neuen Tätigkeit wäre rechtlich möglich.
Doch: Auch heute noch sind manche Wege offen, etwa wenn Tätigkeiten formal nicht direkt mit dem früheren Amt zusammenhängen oder inhaltlich geschickt verschleiert werden. Die Karenzzeit schützt zwar gegen offenkundige Wechsel – doch sie verhindert keine langfristigen Lobbystrategien.
🧭 Resümee
Die gesetzliche Karenzzeit war ein überfälliger Schritt hin zu mehr Transparenz und Glaubwürdigkeit in der Politik. Doch die Fälle von Reiche, Niebel, Pofalla und Co. zeigen: Politik und Wirtschaft sind eng verwoben – und oft sind es nicht Gesetze, sondern öffentlicher Druck, die Missbrauch verhindern.
Ob eine ehemalige Ministerin wie Katherina Reiche heute noch einmal so wechseln könnte wie 2015? Wohl kaum – aber nicht, weil es unmöglich ist, sondern weil es inzwischen politisch nicht mehr durchsetzbar wäre.