Muss mehr in Deutschland gearbeitet werden?

Welche perfide Strategie steckt hinter der Forderung nach mehr Überstunden Steuer- und sozialversicherungsfrei?

Ein Beitrag von Marcel Fratzscher und Kommentar von Werner Hoffmann

Marcel Frantzscher Präsident DIW Berlin – Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung

Muss in Deutschland mehr gearbeitet werden?
Die Forderung zur #Steuerbefreiung von #Überstunden ist aus fast jeglicher ökonomischer Perspektive falsch und kontraproduktiv. Die gute Nachricht ist, dass Deutschland einen Teil seines Arbeitskräftebedarfs anders decken könnte
 
Meine Kolumne bei Zeit Online mit M Beckmannshagen & A Sperling:

https://www.zeit.de/wirtschaft/2024-04/arbeitsmarkt-erwerbstaetigkeit-frauen-ueberstunden-steuervorteile

Der Vorwurf, die junge Generation #GenZ mangele es an #Leistungsbereitschaft und Arbeitswille, ist auch durch die Fakten widerlegt.

Fakt ist: #Beschäftigung in Deutschland ist heute auf Rekordhoch – niemals in den letzten Jahrzehnten waren mehr Menschen in #Arbeit und wurden gesamt mehr Stunden im Jahr gearbeitet:

Aus ökonomischer Sicht ist gibt es 6 starke Argumente gegen die steuerliche Priviligierung von Überstunden:
 
 
1.    Eine steuerliche Förderung von Überstunden würde zu kaum mehr geleisteten Arbeitsstunden führen – Beispiel Frankreich, wo Überstunden im Jahr 2007 von der Einkommensteuer befreit wurden:
 
Der einzige Effekt der Reform war, dass hochqualifizierte Arbeitnehmer*innen mehr Überstunden deklarierten, um von den steuerlichen Vorteilen zu profitieren.

  1. Selbst bei geringem bis keinem Effekt auf das Arbeitsangebot entstehen dem Staat erhebliche Kosten durch sogenannte #Mitnahmeeffekte entstehen.
     
  2. Es ist ein Widerspruch zu Lindners Insistieren zur Einhaltung der #Schuldenbremse – Förderungen von Überstunden würde weitere Kürzungen vor allem bei Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Nachhaltigkeit bedeuten.
  3. Es könnte die Unterschiede zwischen Männern und #Frauen wieder vergrößern und die unausgewogene Aufteilung von Erwerbs- und Carearbeit weiter zementiert.
  4. Eine Steuerbefreiung von Überstunden würde falsche Anreize innerhalb von Unternehmen setzen. Diese sollten in die #Produktivität ihrer Beschäftigten investieren, anstatt die Arbeitszeit zu erhöhen.
     
  5. Eine an Vollzeitstunden gekoppelte Steuererleichterung würde Arbeitnehmerinnen in Teilzeit außer Acht lassen, bei denen jedoch das größte Potenzial zur Arbeitszeitausweitung besteht.   

Das Erstaunliche an den Vorschlägen des Bundesfinanzministers ist, dass es viel bessere Alternativen gibt, um dem Arbeitskräftebedarf in Deutschland zu begegnen, ein besseres Funktionieren des Arbeitsmarktes zu gewährleisten und auch für den Staat Geld einzusparen.

Denn das größte ungehobene Arbeitskräftepotenzial ist die Erwerbstätigkeit von Frauen und die Integration von vielen der heute 3,3 Millionen Schutzsuchenden in den Arbeitsmarkt.  

Die gute Nachricht ist, dass Deutschland einen Teil seines Arbeitskräftebedarfs decken könnte, wenn die Hürden für die Erwerbstätigkeit von Frauen reduziert und die Integration von Migrantinnen in den Arbeitsmarkt besser gefördert würden.

Eine Reform des #Ehegattensplitting könnte nicht nur zügig umgesetzt und schnelle Erfolge herbeiführen, sondern auch dem …..

https://www.zeit.de/wirtschaft/2024-04/arbeitsmarkt-erwerbstaetigkeit-frauen-ueberstunden-steuervorteile

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Ein Kommentar von Werner Hoffmann

Werner Hoffmann Rentenberater

Das Thema Mehrarbeit durch Überstunden und Steuerbefreiung ist wohl nur die halbe Wahrheit.

Wenn Überstunden steuerfrei gestellt werden sollen, dann wird wohl auch eine Sozialversicherungsfreiheit beinhaltet sein.

Somit würden die geleisteten Überstunden dazu führen, dass die Sozialkassen Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern fehlen.

Für die Arbeitgeber Reingewinn von rund 22 bis 24 %, denn dadurch würden die Arbeitgeber Beiträge zu der

– Krankenversicherung

– Pflegepflichtversicherung

– Gesetzlichen Rentenversicherung

– Arbeitslosenversicherung

– Berufsgenossenschaft

– Umlage 1 und 2 sowie Insolvenzgeldumlage

einsparen und den Sozialkassen fehlen. Hinzu kommen dann – je nach Tarifvertrag auch noch verminderte Beiträge in der betrieblichen Altersversorgung.

Arbeitnehmer müssten dann zwar auch keine Sozialversicherungsbeiträge bezahlen, hätten aber dann auch daraus dann auch geringere Leistungsansprüche.

Bekannt ist dieser Effekt aus dem Kreis der Gastronomie und Friseure: Trinkgelder werden nicht in der Steuer und Sozialversicherung erfasst. Was zunächst schön aussieht, ist und war jedoch in der Coronaphase katastrophal und ist auch in der Rente schlecht.

Gastronomiekräfte und Friseure hatten die Coronahilfe – Kurzarbeitergeld – nur aus dem verbeitragten Gehalt erhalten. Und auch in der Rentenberechnung bleiben Trinkgelder unberücksichtigt.

Verdient ein Kellner Brutto 2.500 Euro zuzüglich 1.200 Euro Trinkgeld, dann wird die Rente nur aus dem Bruttobeitrag erwirtschaftet.

Dieser Kellner erhält dann in der Rente eine Rente, die nur aus den 2.500 Euro berechnet wird.

Unterstellt man, dass dieser Kellner immer Kellner war und im Verhältnis zu anderen Rentenversicherten verdient hat, dann fällt der Kellner in der Rente in ein Rentenloch. Ggf. Erhält er sogar einen Zuschlag zur Grundrente, der nicht durch seine Beiträge, sondern durch die Allgemeinheit finanziert werden müsste.

Effekt: Die Sozialversicherungs-Beitragsentlastung des Arbeitgebers würde wieder durch die Allgemeinheit finanziert und die Leistungsansprüche der Arbeitnehmer, die Überstunden leisten, würden gekürzt.

Dies wären nicht nur Renten, sondern Krankengeld, Arbeitslosengeld, Kurzarbeitergeld etc.

In der Phase nach Corona und auch in dieser Phase war dies auch ein Grund, warum viele Gastrokräfte durch diese geringere Coronahilfe den Nachteil ihres Jobs (Trinkgeld) bemerkt hatten und heute in anderen Berufen tätig sind,

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Dass es der FDP und der CDU, CSU bei einer Freistellung der Überstunden nicht nur um Steuern geht, sondern auch um Verringerung der Beiträge geht, wird hier verschwiegen.

Zwangsweise würde so klammheimlich auch die Rente erheblich gekürzt und müsste dann durch die Allgemeinheit bezahlt werden.

Den Gewinn daraus hat letztendlich der Arbeitgeber!