Beitrag von Yves Willers
Die vorgezogenen Reichstagswahlen am 14. September 1930 hätten nie stattfinden sollen. Sie waren das Einfallstor in die Diktatur. Sie waren letztlich unbegründet. Sie wurden erzwungen aus mehreren Gründen, einer davon die Biersteuer.
Die Bayerische Volkspartei (BVP), der bayerische „Arm“ der reichsweiten katholischen Zentrumspartei, war fanatisch – trotz Haushaltskrise – gegen die Erhöhung dieser Steuer.
Wochenlang rangen die demokratischen Parteien in der konservativ-sozial-liberalen Regierungskoalition um eine „Biersteuer-Lösung“. Die Haltung der BVP wurde nur mit einem komplizierten, nicht ganz final beschlossenen, Kompromiss überwunden.
Am 12. März 1930 wurde dieser Kompromiss unter den liberal-konservativ-linken Parteien im Reichskabinett von SPD Ministerpräsident Müller hintergangen. Die SPD hatte an dem Tag aus Sicht der liberal-konservativen Koalitionspartner ihre „Schuldigkeit“ getan, denn sie hatte zeitgleich im Reichstag dem Young-Abkommen zur Reduzierung der Reparationszahlungen zugestimmt. Biersteuer-Kompromiss mit der SPD ab jetzt unnötig.
Der Forderung der SPD nach Sanierung der Staatsfinanzen – deswegen die geplante Erhöhung der Biersteuer – wollten die Regierungspartner nicht mehr entsprechen. Letztlich ging es um die Finanzierung der Arbeitslosenversicherung. Der „Karren sollte gegen die Wand gefahren werden“, damit man die Demokratie aushebeln konnte. Mit der Krise zur Macht. Das war der Plan innerhalb der konservativen Kreise um Reichspräsident Hindenburg.
Der Lobbyist Paul Reusch von der Gutehoffnungshütte war der Regisseur im Hintergrund. Der Verband der deutschen Industrie RDI hatte zuvor den bei den Wählern unbeliebten – für die Industrie nützlichen – Young-Plan durchsetzen wollen, hatte daher die bei den Wählern führende SPD für die Annahme dieses unbequemen Planes mit in der „Haftung“ sehen wollen. Jetzt hatte die SPD ihre Zustimmung erbracht und sollte nun aus Sicht der Lobby aus der Regierung verdrängt werden. Vorherige Absprachen waren ab nun nichts mehr Wert. Damit fiel die parlamentarische Mehrheit. Neuwahlen wurden nötig.
Die Rechtsextremisten von der NSDAP steigerten bei diesen unnötigen Neuwahlen – elf Monate nach dem Beginn der weltweiten Wirtschaftskrise – ihren Stimmenanteil von 2,8% auf 18,5%. Angesichts der weltweiten Krise hatte die verfassungstreue Regierung keine Zeit gehabt, die Wähler von den nun notwendigen unbequemen Maßnahmen zu überzeugen.
Jetzt dominierte Goebbels Konzept von „Agitation statt Argumentation“ Deutschland – mitten in der Krise. Von da an hatten die Rechtsextremisten mit den Linksextremisten faktisch eine Blockade-Mehrheit im Parlament, denn bei liberalen und konservativen Parteien galt ab jetzt – getrieben durch die Medienkampagne gegen den fiktiven „Kulturbolschewismus – das Motto „niemals mit der SPD“.
Dies war der erste Schritt nach Auschwitz.