Ist das Verfassungsschutz-Gutachten zur AfD für ein mögliches Verbotsverfahren nutzlos?

Ein Beitrag von
Markus Ogorek
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Diese These habe ich in den letzten Monaten vielfach wahrgenommen – und fachlich nicht nachvollziehen können.

Dass bei einem Verbotsverfahren Erkenntnisse des Verfassungsschutzes als Ausgangspunkt dienen, dessen Aufgabe die Beobachtung von Extremisten ist, liegt doch nahe…

Mit Unterstützung aus meinem Team (v.a. Hannah Köbberling, Giulia Welge und Luca Manns) habe ich die rechtlichen Voraussetzungen beider Verfahren methodengeleitet gegenübergestellt und die durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in seinem Hochstufungs-Gutachten präsentierten Belege mit der bisherigen Verbotsrechtsprechung aus Karlsruhe verglichen.

Unsere über 60-seitige Untersuchung ist mit einer Einordnung hier abrufbar:

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Link Siehe unten 2*

Wir kommen zum Ergebnis, dass die rechtlichen Maßstäbe ähnlich sind und zumindest ein Großteil der BfV-Belege potentiell auch in einem Verbotsverfahren verwendbar wäre.

Ob sie allein ausreichen würden: eher nicht.

Und ob ein Verbot eingeleitet werden sollte:

Entscheidung der Politik.

Um eine fundierte Entscheidung treffen zu können, sollten unseres Erachtens aber zeitnah entsprechende Vorarbeiten beginnen.

Über unsere Analyse wurde gestern und heute medial breit berichtet – unter anderem:

  • Zunächst exklusiv bei DER SPIEGEL (Ann-Katrin Müller): Siehe . 3*,
Quelle siehe unten 3*
  • In den ARD-Radiowellen und auf tagesschau.de (Dr. Max Bauer):
Quelle siehe unten 4*
  • Auf ZDF heute.de (Charlotte Greipl, LL.M.):
Quelle siehe unten 5*

  • Bei WELT/POLITICO Europe (Pauline von Pezold)
Quelle: siehe unten 6*

  • Auf „Heute im Recht“ des Verlags C.H.Beck GmbH & Co. KG (Maximilian Amos):
Quelle: siehe unten 7*

Neben diversen Agenturmeldungen (dpa, AP, das) und zusammenfassenden Berichten, z. B. auf LTO, durfte ich auch in Interviews einordnen:

  • Im Kölner Stadt-Anzeiger (Joachim Frank):
Quelle: siehe unten 8*

  • Für die Funke Mediengruppe, hier abgedruckt in der NRZ (Tobias Kaluza):
Quelle: siehe unten 9*

  • Auf ntv in den heutigen Mittagsnachrichten (noch nicht online).

Neben diesen positiven Berichten haben uns dutzende Angriffe erreicht – online, aber auch z. B. telefonisch.

Darüber habe ich heute in einem Gastbeitrag berichtet:

Quelle siehe unten 10*

Download-PDF der rechtswissenschaftlichen Untersuchung

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Ein Kommentar von

Werner Hoffmann – Demokratie der Mitte, weil Extremflügel das Land zerstören

Vorweg: Am 2. Mai 2025 hat das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die AfD als gesichert rechtsextremistisch eingestuft – ein Schritt, der die Debatte über ein mögliches Parteiverbot neu entflammt hat. Diese Einstufung steht am Ende einer Entwicklung von Prüffall (2019) über Verdachtsfall (2021) hin zur gesicherten Einstufung (2025).

Ich habe mir die rechtswissenschaftliche Untersuchung von Prof. Dr. Markus Ogorek zur Bedeutung dieses BfV-Gutachtens für ein mögliches Parteiverbotsverfahren genau angesehen. Sein Kern:

Das Gutachten des BfV liefert umfangreiche, gerichtsfeste Belege – es ersetzt aber nicht die eigenständige, besonders strenge Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG).


Warum die Einstufung wichtig ist – aber kein Automatismus

Die BfV-Einstufung hat Signalwirkung: Sie macht öffentlich, dass die verfassungsfeindlichen Bestrebungen aus Sicht der Sicherheitsbehörde belegt sind.

Zugleich betont Ogorek, dass eine gerichtliche Bestätigung der Einstufung (vor den Verwaltungsgerichten) keine Bindungswirkung für das BVerfG im Parteiverbot entfaltet – sie kann aber mittelbar die Beweislast erleichtern, weil die Tatsachengrundlagen bereits überprüft wurden.

Mit anderen Worten:

Das BfV-Gutachten ist Munition, kein Freifahrtschein.


Die rechtliche Latte beim Parteiverbot liegt extrem hoch

Art. 21 Abs. 2 GG erlaubt ein Verbot nur, wenn eine Partei darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnung (FDGO) zu beeinträchtigen oder zu beseitigen.

Nach der gefestigten Rechtsprechung (u. a. NPD II) sind die zentralen Prüfsteine:

  • Menschenwürdeprinzip – keine Degradierung von Menschen zu Objekten, keine rassistische oder antisemitische Abwertung,
  • Demokratieprinzip – Anerkennung von Volkssouveränität, Mehrparteienprinzip, Opposition,
  • Rechtsstaatsprinzip – Gewaltenteilung, richterliche Unabhängigkeit, Gesetzmäßigkeit des Handelns.

Diese Grundpfeiler bilden den Kern der FDGO, gegen den eine Partei aktiv, zielgerichtet und planvoll anarbeiten müsste, damit ein Verbot überhaupt in Betracht kommt.


Wo sich BfV-Maßstäbe und Parteiverbotsmaßstab treffen

Ogorek arbeitet heraus, dass die maßgeblichen Kriterien des BfV und die des BVerfG weitgehend parallel laufen. Das ist keine Formsache, sondern entscheidend für den Prozess:

  • Ethnischer Volksbegriff: Wo ein völkisch-abstammungsbezogenes Verständnis des „deutschen Volkes“ vertreten wird und daraus eine Infragestellung der Gleichheit aller Staatsbürger folgt (z. B. „Passdeutsche“, pauschale „Remigration“), kollidiert das mit Art. 1 GG/Art. 3 GG,
  • Fremden- und Minderheitenfeindlichkeit: Systematische Abwertung von Menschen mit Migrationsgeschichte,
  • Islamfeindlichkeit/Antisemitismus: Pauschale Feindbildkonstruktionen, Relativierungen, codierte Stereotype,
  • Verfassungsfeindliche Grundtendenz der Gesamtpartei: Nicht nur „Entgleisungen Einzelner“, sondern eine prägende Linie im Gesamtbild.

Genau diese Belegkomplexe strukturiert das BfV-Gutachten detailliert und typisiert ihre juristische Relevanz („tendenziell einschlägig“, „möglicherweise einschlägig“ etc.).


Der Knackpunkt: „Darauf Ausgehen“ und planvolles Handeln

Ein Parteiverbot verlangt mehr als Ideologie: Es braucht Planmäßigkeit, Potentialität und strategische Zielverfolgung. In der Praxis heißt das: Reicht die Dichte der Belege, um zu zeigen, dass die Partei gerichtet auf die Aushöhlung der FDGO hinarbeitet – nicht nur in Worten, sondern in Programm, Kampagnenführung, innerer Willensbildung und politischer Praxis? Ogorek zeigt auf, dass das Gutachten hier bereits weit trägt, die juristische Bewertung einzelner Zitate und Kontexte aber im Grenzbereich wertungsabhängig bleibt.


Beispiele aus dem Gutachten – warum sie zählen

  • „Remigration“: Wird teils undifferenziert gefordert und kann – sofern auf deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund bezogen – das Gleichheitsprinzip verletzen,
  • „Passdeutsche“: Abwertung eines Teils der Staatsbürger als „nicht wirklich zugehörig“,
  • Islamfeindliche/antisemitische Codierungen: Feindbild „Islamisierung“, „Globalisten“-Chiffren,
  • Relativierungen NS-Verbrechen: Einzelstimmen ohne klare, parteiweite Distanzierung.

Ogorek ordnet solche Belege nach Nachweistypen und prüft, wann sie tatsächliche Anhaltspunkte darstellen, die in der Gesamtschau eine verfassungsfeindliche Grundtendenz belegen.


Was bedeuten die aktuellen Verfahren?

Die AfD klagt gegen die Hochstufung.

Eine verwaltungsgerichtliche Bestätigung der Einstufung hätte keine unmittelbare Bindung im Parteiverbot – aber mittelbar erhöht sie die Beweissicherheit und senkt prozessuale Risiken für die Antragsteller.

Ogorek empfiehlt deshalb, die politische Vorbereitung eines Verbotsantrags parallel zur fachgerichtlichen Überprüfung zu organisieren (Arbeitsgruppe, Belegstruktur, Schriftsatzentwurf) – ohne Vorfestlegung, aber mit Blick auf Verfahrenseffizienz.


Mein Blick als Demokrat der Mitte

Erstens: Das BfV-Gutachten ist substanziell und gerichtsfest dokumentiert.

Es bündelt öffentlich zugängliche Quellen, die vor Gericht regelmäßig gut verwertbar sind.

Zweitens: Die entscheidenden Linien – menschenwürdewidriger Volksbegriff, systematische Abwertung, verfassungsfeindliche Grundtendenz – sind aus meiner Sicht deutlich erkennbar.

Drittens: Ein Parteiverbot bleibt die schärfste Waffe – es muss verhältnismäßig, politisch verantwortet und juristisch sattelfest vorbereitet werden.

Ein überhasteter Antrag, der scheitert, stärkt am Ende den Gegner.


Resümee

Die Untersuchung legt nahe:

Ja, das BfV-Gutachten kann die Tragpfeiler eines Verbotsantrags liefern – sofern die Antragsteller die Planmäßigkeit und die verfassungsfeindliche Grundtendenz der Gesamtpartei mit einer geschlossenen, redundanzarmen Beweisführung herausarbeiten. Strategisch klug ist ein paralleles Vorgehen: fachgerichtliche Klärung der Einstufung fortsetzen, während eine arbeitsfähige Antragsschrift im Hintergrund solide erarbeitet wird.

Wehrhafte Demokratie heißt: rechtssicher handeln, klar benennen, konsequent schützen – und dabei die Freiheitsrechte nicht instrumentalisieren lassen, um sie abzuschaffen.

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Warum ich gute Chancen für ein Parteiverbotsverfahren sehe:

Aus meiner Sicht bestehen durchaus realistische Erfolgsaussichten.

Der entscheidende Unterschied zu früheren Fällen – etwa dem NPD-II-Urteil von 2017 – liegt in der Größe, Reichweite und realen Machtperspektive der AfD.

Während das Bundesverfassungsgericht damals ein Verbot ablehnte, weil der NPD die „Potentialität“ fehlte, kann man der AfD heute schwerlich absprechen, dass sie über politische Gestaltungskraft verfügt. Genau diese Potentialität, also die Fähigkeit, ihre verfassungsfeindlichen Ziele in reale Politik umzusetzen, macht die AfD rechtlich angreifbarer als die NPD.

Damit ist die zentrale Hürde, die das NPD-Verbot scheitern ließ, bei der AfD womöglich überwindbar.

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Aktuelles Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Köln:

Gleichzeitig ist zu beachten:

Derzeit läuft noch das Verfahren der AfD gegen die Hochstufung zur „gesichert rechtsextremistischen Partei“.

Am 5. Mai 2025 reichte die AfD beim VG Köln sowohl Klage (Az. 13 K 3895/25) als auch einen Eilantrag (Az. 13 L 1109/25) ein.

Am 8. Mai 2025 reagierte das Bundesamt für Verfassungsschutz mit einer Stillhaltezusage:

Bis zum Abschluss des Eilverfahrens äußert es sich öffentlich nicht mehr und entfernte seine Pressemitteilung.

Ein Urteil ist bislang nicht terminiert; Beobachter rechnen mit einer Dauer von mehreren Monaten, da schon das frühere Verfahren zur Einstufung als „Verdachtsfall“ 2021 rund 14 Monate dauerte.

Ein Urteil des VG Köln wäre zwar keine zwingende Voraussetzung für ein Parteiverbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht – doch eine gerichtliche Bestätigung würde die Belastbarkeit der Beweise erheblich untermauern und die Erfolgsaussichten für ein Verbot deutlich erhöhen.

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Abschließende Überlegung:

Es wäre sinnvoll, wenn in der Zwischenzeit weitere Überprüfungen und Indizien gesammelt werden und das Verfahren sorgfältig vorbereitet wird.


#AfD #Verfassungsschutz #Parteiverbot #Demokratie #Rechtsstaat

Quellen:

Link zum Originalartikel

https://www.linkedin.com/posts/markus-ogorek_rechtswissenschaftliche-untersuchung-activity-7364311305169633280-UtKY?utm_source=share&utm_medium=member_ios&rcm=ACoAADSumNEBGYgkWA6yjTr6uB0NX_Lnrr_XlN0

2*: https://fsnd.uni-koeln.de/untersuchung-afd

3* https://spiegel.de/a-bcddc005-6c1a-4fb9-be77-291b7881cb74

4* https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/afd-verbot-gutachten-100.html

5* https://zdfheute.de/politik/deutschland/afd-verbot-gutachten-verfassungsschutz-einstufung-ogorek-100.html

6* https://welt.de/plus68a48c409886663123aa2ab4

7* https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/rechtsgutachten-afd-rechtsextrem-verfassungsfeindlich-verbot

8* https://www.ksta.de/politik/koelner-jurist-ogorek-afd-gutachten-taugt-fuer-ein-verbotsverfahren-1089186

9* https://www.nrz.de/niederrhein/article409789678/verfassungsrechtler-sieht-grundlage-fuer-afd-verbotsverfahren.html

10* https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/afd-gutachten-verfassungsschutz-parteiverbot-debatte-sachlichkeit

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