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Noch ein Nachklapp zu der Diskussion über unseren Bundesinnenminister Alexander „Gaslighter“ Dobrindt: Man kann aus solchen Diskussionen einfach so viel lernen. Nicht über Fakten und Statistiken aber über Reaktionen und psychologische Dynamiken.
ReflexStattReflexion
Denn wer Manipulation sichtbar macht, zeigt nicht nur einen Missstand. Er löst auch etwas aus: Abwehr, Relativierung, Tonkritik. In der aktuellen Debatte wird ein Minister für die visuelle Verzerrung offizieller Extremismuszahlen kritisiert. Die Antwort eines Kommentators: Er könne „keine Täuschung erkennen, die mehr besorgen würde als die steigende Gewalt insgesamt“. Das ist weder besonders empörend noch repräsentativ – aber als Beispiel für ein weit verbreitetes Muster hochinteressant. Denn es zeigt: Die Bewertung von Täuschung wird plötzlich nicht mehr an ihrer Absicht oder Wirkung gemessen – sondern an der Größe des Problems, das sie vermeintlich adressiert.

AngstAlsArgument
Diese Logik ist brandgefährlich: Wenn die Bedrohung nur groß genug ist, wird fast jede Täuschung akzeptabel. Wer Panik erzeugt, muss sich nicht mehr an Prinzipien halten. Rechtsbruch wird zur „Notwehr“, Manipulation zur „Zuspitzung“, Verzerrung zur „Dringlichkeit“. Genau das ist die tiefere Strategie hinter vielen autoritären Kommunikationsmustern: Emotionalisierung schlägt Fakten.
NarrativeDerNotwehr
Der berühmte „They’re eating our cats and dogs“-Satz aus den USA steht sinnbildlich dafür – eine groteske Übertreibung, die ausreicht, um jede Maßnahme plausibel erscheinen zu lassen. Auch Dobrindts rechtswidriger Vorschlag zu Zurückweisungen an der Grenze wurde auf diese Weise in Szene gesetzt – als Schutz vor einer angeblichen Notlage, nicht als Bruch des Rechts.
KontextStattKonsequenz
Diese Strategie funktioniert nicht durch Lüge im klassischen Sinne. Sie funktioniert durch Kontextverschiebung: Nicht der Rechtsbruch wird gerechtfertigt – sondern der Kontext so dramatisiert, dass jede Maßnahme als „irgendwie nachvollziehbar“ erscheint. Genau das ist Gaslighting im politischen Raum: Die emotionale Aufladung verändert, was als legitim empfunden wird. Und je vertrauter die Sprache, je nüchterner der Ton, desto schwerer wird die Verzerrung erkennbar – und desto eher richtet sich der Vorwurf gegen jene, die sie benennen.
DemokratieBrauchtWahrnehmung
Es geht um eine Mechanik. Eine Denkfigur, die sich unbemerkt in den politischen Diskurs einschleicht: Die Idee, dass Regelbruch dann erlaubt ist, wenn die Lage nur ernst genug erscheint. Das funktioniert nur, solange wir die Mechanik nicht erkennen. Wenn Ihnen das nächste Mal jemand eine politische Manipulation zeigt, fragen Sie sich nicht zuerst, ob der Ton zu hart ist oder das Thema „wirklich das Hauptproblem“ ist. Fragen Sie sich lieber: Stimmt die Analyse? Und wenn ja – was folgt daraus? Täuschung wird nicht dadurch legitim, dass die Zeiten schwierig sind. Sie wird dadurch gefährlich, dass wir sie durchgehen lassen.