Warum Stromspeicherung gewerblich und privat gefördert werden muss
Die meisten Deutschen dürften den Begriff noch nie gehört haben, und dennoch kostet das Phänomen dahinter die Stromverbraucher hierzulande jedes Jahr einen Milliardenbetrag, Tendenz steigend: „Redispatch“, so nennen es Fachleute, wenn Windkraftanlagen und Solarkraftwerke abgeschaltet werden, obwohl der Wind bläst und die Sonne vom wolkenlosen Himmel brennt. Für Windräder und Photovoltaikmodule sind solche Wetterbedingungen eigentlich ideal. Es könnte klimaschonende Elektrizität in Hülle und Fülle produziert werden.
Doch wenn zu einer bestimmten Tageszeit die grünen Kraftwerke mehr Strom erzeugen, als verbraucht wird, droht eine regionale Überlastung der Stromnetze. Um das zu verhindern, ordnet der Netzbetreiber deshalb die zeitweilige Abschaltung der Wind- und Solarkraftwerke an, die im Stromnetz vor dem Engpass in den Leitungen liegen. Zum Ausgleich müssen hinter dem Engpass andere Kraftwerke vorübergehend hochgefahren werden. Kleine Solaranlagen auf den privaten Wohnhäusern sind davon allerdings ausgenommen, denn die temporäre Abschaltung betrifft nur Solaranlagen mit einer Spitzenleistung ab 100 Kilowatt.
Für die Stromkunden ist der Redispatch teuer, weil nach den Spielregeln im deutschen Strommarkt die Betreiber von Wind- und Solarparks in solchen Zeiten der Zwangsstilllegung dennoch entlohnt werden, als hätten sie weiter Strom geliefert. Sie erhalten also eine Art Entschädigung für entgangene Erlöse. Bezahlen müssen diese letztlich die Stromkunden, denn die Redispatch-Kosten sind in den Netzentgelten enthalten, die Teil der Stromrechnung sind.
„Fast sechs Terawattstunden an potentieller Windstromerzeugung quasi weggeworfen“
Insgesamt beliefen sich die Kosten für Entschädigungsansprüche durch den Redispatch 2022 auf 2,7 Milliarden Euro, die an Erzeuger von grünem Strom und von konventionellen Kraftwerken flossen. Die Gesamtkosten für die Vermeidung von Engpässen im deutschen Stromnetz waren mit 4,2 Milliarden Euro noch deutlich höher.
Die Redispatch-Kosten sind Folge eines bislang in Deutschland noch weitgehend ungelösten Problems der Energiewende: Die Stromerzeugung konventioneller Kraftwerke, die mit Gas oder Kohle betrieben werden, kann je nach Strombedarf hoch- und runtergeregelt werden. Doch im Zuge der Energiewende werden die flexiblen fossilen Kraftwerke durch Wind- und Solarkraftwerke ersetzt, deren Stromproduktion nun mal nicht nach Bedarf gesteuert werden kann, sondern wetter- und tageszeitabhängig ist. Ein Solarpark liefert zum Beispiel tendenziell mittags besonders viel Strom, weil dann die Sonne hoch am Himmel steht, am größten ist der Stromverbrauch privater Haushalte aber meist am späten Nachmittag und abends, wenn die Menschen von der Arbeit nach Hause kommen und das Abendessen kochen.
Technisch gibt es durchaus eine Lösung für das wachsende Redispatch-Problem: Wenn Wind- und Solarparks mit großen Stromspeichern ausgerüstet werden, können sie den tagsüber zu viel erzeugten Strom für den Abend bunkern und abends ins Netz einspeisen, wenn er benötigt wird. In Phasen, in denen die Erzeugung von Grünstrom den Bedarf übersteigt, werden Wind- und Solarparks also nicht abgeschaltet, sondern schicken ihren Strom in einen Speicher. Das wäre auch gesamtwirtschaftlich sinnvoll, weil dann die Stromerzeugungskapazität von Wind- und Solaranlagen voll ausgeschöpft werden könnte.
„Strompreise werden weiter steigen“
„In Deutschland werden durch die Abregelung fast sechs Terawattstunden an potentieller Windstromerzeugung quasi weggeworfen“, rechnet Urban Windelen, Geschäftsführer des Bundesverbands Energiespeicher Systeme (BVES), vor. „Das ist ungefähr so viel, wie das gesamte BASF-Werk in Ludwigshafen verbraucht.“ Die riesige Chemiefabrik in Rheinland-Pfalz zählt zu den größten Stromverbrauchern in Deutschland.
Der Ausbau von Wind- und Solarenergie sei richtig und wichtig, findet Windelen. „Aber Erzeuger von erneuerbarem Strom müssen von der Politik in die Verantwortung genommen werden.“ Windelen fordert eine Abschaffung der Redispatch-Entschädigung für die Betreiber von Wind- und Solarparks: „Es ist blanker Unsinn, dass die Verbraucher für Strom, der gar nicht benötigt wird, bezahlen müssen.“ Der Lobbyist verweist auf Spanien: „Dort dürfen heute schon keine neuen Solarparks mehr ohne Energiespeicher gebaut werden. Ähnliche Vorgaben bräuchten wir auch in Deutschland.“
Zu befürchten ist, dass die Kosten für den Redispatch in den kommenden Jahren durch die Energiewende weiter steigen werden. Bislang decken die volatilen und nicht regelbaren erneuerbaren Energien rund die Hälfte des deutschen Stromverbrauchs, doch bis 2030 sollen sie nach den Ausbauplänen der Bundesregierung schon 80 Prozent ausmachen, was ja für den Klimaschutz im Energiesektor ein großer Erfolg wäre. „Aber mit jedem Tag, an dem wir neue Solar- und Windparks ohne die notwendige Flexibilität in Betrieb nehmen, wird auch das Redispatch-Problem größer“, sagt der Speicher-Verbandschef Windelen. „Die ohnehin schon viel zu hohen Strompreise in Deutschland werden dadurch noch mehr steigen.“
Auch für den stabilen Betrieb des Stromnetzes werden Batteriespeicher in Zukunft immer wichtiger werden. Denn wenn durch mehr Ökostrom Erzeugung und Verbrauch von Elektrizität zeitlich zunehmend voneinander abweichen, kann das zu Abweichungen von der technisch vorgesehenen Netzfrequenz von 50 Hertz im Wechselspannungsnetz führen. Die Folge könnten schwere Störungen angeschlossener Geräte und Blackouts sein. „Wir brauchen Großspeicher, um die Netzstabilität sicherzustellen“, mahnt der Strommarktexperte Bruno Burger vom Forschungsinstitut Fraunhofer ISE in Freiburg.
Die Bundesnetzagentur schätzt, dass in Deutschland bis 2037 Batteriespeicher mit einer installierten Leistung von rund 34 Gigawatt benötigt werden. Aktuell gibt es dagegen laut Speicherverband BVES nur rund 1,5 Gigawatt an Speichern. Der Energiekonzern RWE hat im Januar eine „Megabatterie“ an Kraftwerksstandorten in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen mit zusammen 117 Megawatt in Betrieb genommen, die aus Hunderten zusammengeschalteter Module von Lithium-Ionen-Batterien besteht.
Aber der Nachholbedarf in Deutschland bei Stromspeichern sei groß, sagen Fachleute. Ein Anbieter, der solche Anlagen plant und baut, ist das Münchner Unternehmen Kyon Energy. Das erst vor zwei Jahren gegründete Start-up sieht sich hierzulande als Marktführer für stromnetzgestützte Batteriespeichersysteme. „Stromspeicher haben in Deutschland bisher leider keine große Lobby“, sagt Philipp Merk, Gründer und Ko-Geschäftsführer von Kyon. Andere Länder wie Großbritannien und Australien seien viel weiter. Als größter Stromspeicher der Welt gilt die Anlage Moss Landing in Kalifornien. Kyon-Manager Merk fordert, dass Deutschland bessere staatliche Rahmenbedingungen für den Bau von Stromnetz-Speichern schaffe. „Die Energiewende wird scheitern, wenn wir den Speicherausbau nicht deutlich beschleunigen“, warnt er.