Ein Beitrag von Werner Hoffmann
Wer heute über Norwegen spricht, hört oft das gleiche Argument: „Ja, die können sich das mit den Erneuerbaren ja leisten – die schwimmen ja im Öl.“
Aber stimmt das wirklich?
Tatsächlich ist Norwegen nicht wegen des Erdöls grün geworden, sondern trotzdem. Die Elektrifizierung des Landes begann lange vor der Ölzeit – und mit einer visionären Entscheidung, die auch Deutschland gut getan hätte.
⚡ Der Anfang: Strom aus Wasser statt Kohle
Schon 1891 wurde in der kleinen Stadt Hammerfest das erste kommunale Wasserkraftwerk eröffnet.
Noch vor dem ersten Weltkrieg entstanden in ganz Norwegen Dutzende kleine Kraftwerke – viele davon durch private Investoren aus dem In- und Ausland, die in die natürlichen Höhenlagen, Wasserfälle und Flüsse Norwegens investierten.
Strom wurde zur Grundlage für Industrie, Licht und später auch Bahnlinien.
Die geniale Idee: Reversion statt Ausverkauf
Was Norwegen dann tat, war außergewöhnlich – und langfristig genial:
- 1906–1909 verabschiedete das Parlament sogenannte Konzessionsgesetze, die ausländische Firmen verpflichteten, Wasserrechte nur befristet zu erhalten.
- Nach 60 bis 80 Jahren musste jede Anlage kostenlos an den Staat zurückfallen – das nannte man den „Heimfall“.
- Damit wurde verhindert, dass sich Norwegens wichtigste Ressource dauerhaft in privaten Händen befindet.
Ergebnis: Norwegen baute mit ausländischem Kapital seine Infrastruktur – sicherte sich aber dauerhaft die Kontrolle über das Netz.
️ Staat statt Spekulant: Gemeinwohl als Prinzip
1920 gründete das Land die NVE (Wasser- und Energiedirektion), die noch heute für Lizenzen, Überwachung und Planung zuständig ist.
Aktuell befinden sich über 90 % der norwegischen Stromproduktion in staatlicher oder kommunaler Hand. Nur 10 % sind privat. Kein anderer europäischer Staat hat so konsequent öffentliche Kontrolle über die Stromversorgung behalten.
Forschung, Fortschritt und Turbinen-Hightech
Norwegen setzte früh auf Wissenschaft: An der Technischen Hochschule Trondheim entstand bereits 1910 das legendäre Waterpower Laboratory, das bis heute weltweit Maßstäbe bei Turbinenentwicklung und Effizienz setzt.
Industrieunternehmen wie Kværner profitierten davon und entwickelten technologische Spitzenprodukte für den internationalen Wasserkraftmarkt.
Erst dann kam das Öl – und wurde klug verwaltet
Der erste große Erdölfund in Norwegen kam 1969 – Jahrzehnte nach dem Aufbau der Wasserkraft. Norwegen entschied sich bewusst für eine staatliche Beteiligung (Statoil, heute Equinor) und für einen Staatsfonds, in dem die Einnahmen aus der Öl- und Gasförderung systematisch für zukünftige Generationen angelegt werden.
Mit diesem Geld wurde das bereits vorhandene grüne Stromsystem weiterentwickelt, Elektromobilität gefördert und Infrastruktur modernisiert.
✅ Fazit: Kein Mythos, sondern Strategie
Norwegen ist kein Wunderland, sondern ein Beispiel für kluge, langfristige Politik:
- Grüne Energie gab es dort schon vor dem Öl.
- Private Investoren wurden genutzt – aber nicht dauerhaft bedient.
- Der Staat behielt die Kontrolle über Stromversorgung und Planung.
- Öl wurde später zur Stabilisierung und Transformation genutzt – nicht zum Verschleudern.
Vielleicht sollten wir in Deutschland nicht fragen, „warum Norwegen so grün ist“, sondern: Warum wir es trotz aller Chancen nicht sind.
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Ein Gedankenexperiment: Was wäre, wenn…?
Was wäre eigentlich passiert, wenn Norwegen sich damals anders entschieden hätte?
Wenn die Wasserkraftwerke nicht nach Ablauf der Konzessionen in Staatsbesitz übergegangen wären, sondern dauerhaft in privater Hand geblieben wären?
Hätte sich der junge, arme norwegische Staat überhaupt unabhängig entwickeln können?
Hätte man die Infrastruktur im ganzen Land aufgebaut – oder nur dort, wo es rentabel war?
Hätte Norwegen dann genug Einnahmen gehabt, um später Bildung, Gesundheit und den Staatsfonds aufzubauen?
Und vor allem:
Hätte es die Souveränität über seine Energieversorgung behalten?
Denn eines ist klar:
Norwegen war vor der Elektrifizierung ein armes Land.
Erst durch die konsequente Nutzung und öffentliche Rückbindung der Wasserkraft entstand ein Wohlstand, der mit dem Ölboom später nur noch verstärkt wurde.
Vielleicht sollten wir uns heute öfter fragen:
Wie sähe Deutschland heute aus, wenn wir beim Strom ähnlich weitsichtig gehandelt hätten?
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