England im Trockenschock – Teil 3 – Wenn Kernkraftwerke auf dem Trockenen sitzen

Ein Beitrag von
Werner Hoffmann

Kernkraftwerke sind ohne verlässliche Kühlung nicht betreibbar.

In England verschärfen Dürreperioden, sinkende Grundwasserstände und steigende Wassertemperaturen die Risiken für die Atomstromproduktion – technisch, regulatorisch und ökonomisch.

Energiehunger trifft Wassermangel

Ohne Kühlwasser keine Kondensation des Dampfes und damit keine kontinuierliche Stromerzeugung. Hitze- und Dürrephasen führen zunehmend dazu, dass Meeres- und Flusswasser für die Kühlung nur eingeschränkt nutzbar ist.

Warum Kernkraftwerke so viel Wasser brauchen

  • Im Reaktor erzeugte Wärme verdampft Wasser, der Dampf treibt Turbinen an,
  • anschließend muss der Dampf im Kondensator wieder verflüssigt werden, wofür große Kühlwassermengen nötig sind,
  • selbst bei Meerwasserkühlung benötigen Neben- und Notfallsysteme Süßwasser aus Flüssen, Reservoirs oder Grundwasser.

Wasserknappheit als unmittelbares Betriebsrisiko

  • Leistungsreduktion: Überschreitet die Einlasstemperatur Grenzwerte oder würde der Rücklauf das Gewässer zu stark erwärmen, muss die Reaktorleistung gedrosselt werden,
  • Lastabwurf/Abschaltung: Sinkt die verfügbare Kühlwassermenge unter Mindestwerte, ist ein geordneter Leistungsabwurf bis hin zur Abschaltung erforderlich,
  • Kosten- und Preisspitzen: Fehlende Grundlast muss kurzfristig durch teurere Erzeugung (meist Gas) ersetzt werden – die Großhandelspreise steigen.

Fallbeispiel Hinkley Point C – Kalkulationen unter Klimadruck

Hinkley Point C wurde als verlässliche, preisstabile Grundlastquelle geplant. Die Klimarealität verschiebt die Annahmen:

  • Höhere Meerestemperaturen verringern die Kühlreserve und erhöhen die Wahrscheinlichkeit temperaturbedingter Leistungsbegrenzungen,
  • Algenblüten und Treibgut erfordern aufwendige Sieb- und Filtersysteme mit zusätzlichem Energie- und Wartungsaufwand,
  • knapperes Süßwasser für Neben- und Notkreisläufe erzwingt Puffer- und Versorgungskonzepte, die die OPEX erhöhen.

Ergebnis: Produktionsprofile werden volatiler, Kapazitätsfaktoren können unter Plan liegen, der Strom aus Hinkley Point C wird faktisch teurer als ursprünglich kalkuliert.

Weitere Standorte: wiederkehrende Hitzestress-Effekte

  • Sizewell B (Nordsee): Leistungsreduktionen bei warmen Sommern zur Einhaltung von Umweltauflagen,
  • Heysham (Irische See): Algen- und Treibgutereignisse belasten die Kühlwasseraufnahme,
  • Torness (Schottland): Hitzephasen führten bereits zu temporären Drosselungen.

Privatisiertes Wasser als zusätzlicher Engpass

In Dürrezeiten konkurrieren Kernkraftwerke um Süßwasser mit Haushalten, Landwirtschaft und Industrie. Rechtlich hat die Trinkwasserversorgung Vorrang – energetische Lastspitzen treffen dann auf reduzierte Kraftwerksleistung.

Was bedeutet das für die Energiewende?

  • Kernkraft ist nicht wetterunabhängig – sie ist wasser- und temperaturabhängig,
  • häufigere Hitzewellen und Dürreperioden erhöhen die Wahrscheinlichkeit von Drosselungen,
  • Systemkosten steigen, weil Reserve- und Flexibilitätsoptionen (Speicher, Demand Response, flexible Erzeuger) vorgehalten werden müssen.

Resümee

Die britische Atomstromproduktion steht im Klimazeitalter unter doppeltem Druck:

physikalisch durch heißeres, knapperes Kühlwasser

und institutionell durch einen privatisierten, verlustreichen Wassersektor.

Für Hinkley Point C bedeutet das: höheres Betriebsrisiko, potenziell niedrigere Volllaststunden, steigende Stückkosten.

Wer Atomstrom als stabile, günstige Grundlast verspricht, muss die Wasserrealität der kommenden Jahrzehnte in die Bilanz aufnehmen.

——

Teil 1:

Teil 2:

England im Trockenschock – Teil 2 – Privatisiertes Wasser, privatisierte Probleme

Ein Beitrag von
Werner Hoffmann

In England ist die Wasserversorgung – anders als in den meisten Ländern Europas – vollständig privatisiert.

Trinkwassernetz und Abwasserentsorgung sind seit 1989 in den Händen von Unternehmen, die in erster Linie ihren Aktionären verpflichtet sind. Das war eine politische Entscheidung unter Premierministerin Margaret Thatcher – mit dem Versprechen von Effizienz, Innovation und besseren Investitionen. Heute zeigt sich: Viele dieser Versprechen haben sich ins Gegenteil verkehrt.

Vom öffentlichen Gut zum Renditeobjekt

Bis 1989 wurde das Wasser von regionalen, staatlichen Wasserbehörden verwaltet. Mit der Privatisierung gingen sämtliche Anlagen – von Reservoirs über Leitungen bis zu Klärwerken – in den Besitz von zehn großen Wassergesellschaften über.

  • Diese Firmen besitzen die gesamte Infrastruktur,
  • sie betreiben sowohl Trinkwasserversorgung als auch Abwasserentsorgung,
  • Preise und Investitionen werden unter Aufsicht des Regulators Ofwat festgelegt.

Auf dem Papier gibt es Wettbewerb – in der Realität ist jede Region ein Monopolgebiet.

Das große Leck – Verluste im Netz

England verliert im Schnitt 20 bis 25 % seines Trinkwassers durch undichte Leitungen. Ursache sind jahrzehntelange Unterinvestitionen:

  • Alte Rohrleitungen werden häufig nur bei akuten Schäden ersetzt,
  • vorbeugende Instandhaltung bleibt die Ausnahme,
  • hohe Dividendenzahlungen hatten oft Vorrang vor umfassender Modernisierung.

Allein bei Thames Water gehen täglich hunderte Millionen Liter verloren – genug, um Millionen Menschen zu versorgen.

Profit vor Versorgungssicherheit

Seit der Privatisierung sind viele Wasserkonzerne hoch verschuldet, weil Eigentümer Kredithebel nutzen, um Ausschüttungen zu finanzieren.

  • Investitionen werden verschoben oder gestückelt,
  • Gewinne fließen an internationale Fonds und Holdingstrukturen,
  • in Krisenzeiten fehlt finanzieller Spielraum für schnelle Sanierungen.

Gleichzeitig sind die Wasserpreise für Verbraucher seit den 1990er-Jahren deutlich stärker gestiegen als die Inflation.

Abwasserskandale

Die Unternehmen stehen regelmäßig in der Kritik, weil sie bei Starkregen ungeklärtes Abwasser in Flüsse und Küstengewässer leiten.

  • Überläufe werden als Notventil genutzt, weil die Netze unterdimensioniert sind,
  • mehrere Firmen zahlten in den letzten Jahren hohe Strafen wegen Verstößen,
  • dauerhafte Kapazitätserweiterungen wurden vielerorts zu spät begonnen.

Wem gehört das Wasser? – Die Betreiberlandschaft

Die zehn großen Wasserversorger in England & Wales sowie ihre Eigentümerstrukturen:

  • Thames Water – Konsortium unter Kemble Water; u. a. kanadische Pensionsfonds, China Investment Corporation, Abu-Dhabi-Investoren,
  • Severn Trent Water – börsennotiert; breit gestreuter Besitz durch institutionelle Anleger,
  • United Utilities – börsennotiert; britische und US-Pensionsfonds,
  • Anglian Water – Konsortium aus australischen, kanadischen und japanischen Investoren,
  • Yorkshire Water – Konsortium unter Führung von Citigroup und GIC (Singapur-Staatsfonds),
  • Southern Water – kontrolliert von der Macquarie-Gruppe (Australien),
  • South West Water – Teil der börsennotierten Pennon Group,
  • Welsh Water (Dŵr Cymru)Non-Profit, Überschüsse werden reinvestiert,
  • Northumbrian Water – Cheung Kong Infrastructure Holdings (Hongkong),
  • Wessex Water – YTL Corporation (Malaysia).

Das Problem in der Dürre

In einer akuten Wasserknappheit konkurrieren Haushalte, Industrie, Landwirtschaft und Energieerzeugung um dieselbe Ressource.

  • Sinken Grundwasserstände und leeren sich Reservoirs, geraten die privaten Versorger unter Druck,
  • staatliche Eingriffe sind möglich, stoßen aber an rechtliche und finanzielle Grenzen,
  • die Infrastruktur ist privates Eigentum – das erschwert schnelle, zentrale Steuerung.

Resümee

Die vollständige Privatisierung der Wasser- und Abwasserversorgung in England hat ein System geschaffen, in dem Profitmaximierung häufig wichtiger ist als Versorgungssicherheit. In Zeiten des Klimawandels, sinkender Grundwasserstände und wachsender Nachfrage zeigt sich, wie riskant es ist, eine lebenswichtige Ressource vollständig den Kapitalmärkten zu überlassen.

Notwendig sind verbindliche Reinvestitionsquoten, ein ambitioniertes Leckageprogramm, klare Umweltstandards – und eine Regulierung, die Versorgungssicherheit und Gemeinwohl an die erste Stelle setzt.

#Wasserprivatisierung

#England

#Infrastrukturkrise

#Wasserknappheit

#Umweltpolitik

——-

Teil 1

Teil 3:

England im Trockenschock – Wie der Klimawandel das Grundwasser verschwinden lässt

Ein Beitrag von
Werner Hoffmann

Teil 1 Der Klimawandel in England

Wer schon einmal in England gewesen ist, hat die Region als regenreich in Erinnerung. Das Bild hat sich total verändert.

England kämpft derzeit nicht nur mit leeren Reservoirs und austrocknenden Flüssen – auch die unsichtbare Lebensader unter der Erdoberfläche, das Grundwasser, ist auf dem Rückzug.

Was lange als stabile Reserve galt, rutscht jetzt in bedrohliche Tiefen.

Die Ursache: eine fatale Kombination aus Klimawandel, Niederschlagsmangel und steigender Wasserentnahme.

Ein unsichtbarer Rückzug – Wasser unter der Erde schwindet

Die Absenkung des Grundwassers ist für die meisten Menschen nicht sichtbar, ihre Folgen aber umso gravierender: Quellen versiegen, Flüsse verlieren ihre stützende Basis aus dem Untergrund, und Trinkwasserreserven geraten unter Druck. Besonders betroffen sind die Kalkstein-Aquifere (Chalk Aquifers) in Süd- und Mittelengland – sie versorgen Millionen Menschen mit Trinkwasser.

Sechs Monate Trockenheit – eine schleichende Katastrophe

In vielen Teilen Englands hat es in den letzten Monaten deutlich weniger geregnet als im langjährigen Mittel. Frühling und Sommer waren zu warm und zu trocken – eine gefährliche Mischung, die die natürliche Grundwasserneubildung hemmt.

Der Klimawandel verschärft das Problem doppelt:

  • Höhere Temperaturen erhöhen die Verdunstung aus Böden, Gewässern und Vegetation,
  • veränderte Niederschlagsmuster führen dazu, dass Regen seltener, dafür in heftigeren Schauern fällt – das Wasser fließt oberflächlich ab, statt in den Untergrund zu sickern.

Aquifere auf dem Rückzug

Messstellen der Umweltbehörden zeigen vielerorts Grundwasserstände unter dem saisonalen Normalwert, in einigen Regionen sogar außergewöhnlich niedrige Pegel. Besonders die Chalk Aquifers reagieren sensibel: Sie füllen sich langsam und benötigen mehrere nasse Winterperioden, um Defizite aus Trockenphasen auszugleichen. Ein einzelner regenreicher Monat reicht dafür nicht.

Folgen für Mensch und Natur

  • Trinkwasserversorgung: In zahlreichen Regionen stammt ein Großteil des Trinkwassers aus Grundwasserbrunnen; sinkende Pegel erzwingen tiefere Bohrungen, Verbundleitungen und teure Notfallmaßnahmen,
  • Ökosysteme: Quell- und Kalkflüsse wie Itchen oder Test verlieren Durchfluss und Sauerstoff – Fische, Amphibien und Insekten geraten unter Stress,
  • Landwirtschaft: In trockenen Regionen wie East Anglia führt eingeschränkte Bewässerung zu Ertragseinbußen und erhöhtem Pflanzendruck,
  • Industrie: Wasserintensive Branchen – etwa Getränke, Lebensmittel, Chemie und Pharma – riskieren Drosselungen oder temporäre Produktionsstopps.

Historischer Wendepunkt

Die aktuelle Lage ist kein Ausrutscher, sondern Ausdruck eines Strukturwandels: Dürreperioden häufen sich seit den 2000er-Jahren, hydrologische Extreme werden häufiger und intensiver, und mittlere Grundwasserstände zeigen einen langfristigen Abwärtstrend. England gilt pro Kopf inzwischen als eine der wasserärmeren Industrienationen Europas.

Klimawandel als Treiber – aber nicht allein

Neben dem Klima wirken hausgemachte Faktoren wie Brennstoff auf das Feuer:

  • Steigende Entnahmen durch Bevölkerungswachstum und Industrie,
  • hohe Leitungsverluste durch marode Netze und Leckagen,
  • fehlende Speicher- und Infiltrationsinfrastruktur, um Starkregen systematisch für die Grundwasserneubildung zu nutzen.

Resümee

Die Absenkung des Grundwassers in England ist eine systemische Bedrohung für Trinkwasser, Landwirtschaft, Industrie und Ökosysteme. Der Klimawandel wirkt als Beschleuniger, doch erst der jahrelange Investitionsstau in Netze, Speicher und natürliche Infiltration macht die Krise akut. Ohne einen Kurswechsel – mehr Regenwasserspeicherung, weniger Leckagen, realistische Entnahmequoten und Renaturierung grundwasserbildender Flächen – wird Wasserknappheit zum neuen Normal.

——

Teil 2

Teil 3

error

Gefällt Dir der Blog-Demokratie? Einfach weiterempfehlen